Piraten und Religion

Um das Thema »Piraten und Religion« ging es am 23. Dezember im Dicken Engel.

Dicker Engel

Wer den Dicken Engel noch nicht kennt: Das ist eine virtuelle Kneipe, in der regelmäßig Mitglieder der Piratenpartei und gelegentlich auch andere Menschen herumhängen. Sie ist virtuell, weil man nur per Internet hineinkommt und Computer und Headset braucht, um mit den anderen zu schwatzen. Ja, und die Software Mumble braucht man auch. Mehr dazu auf der Seite des Dicken Engels im Piratenwiki.

Donnerstags gibt es immer einen Themenabend mit Referenten, Vortrag und Diskussion. Und für den 23. Dezember schien ob der zeitlichen Nähe zu Weihnachten ein religiöses Thema angebracht. Offenbar bin ich in der Piratenpartei als religiöser Mensch bekannt. Jedenfalls habe ich mich über die Anfrage als Referent sehr gefreut.

Hier mein Vortrag:

Weihnachten

Folgt man den typischen Disney-Weihnachtsfilmen, so besteht Weihnachten vor allem aus folgenden Zutaten: Santa Claus, Nordpol, Elfen, Spielzeug, Schlitten, Rentieren (inkl. dem rotnasigen Rudolph), geschmücktem Weihnachstbaum, Geschenken, strahlenden Kinderaugen, glücklichen Erwachsene, heilen Familie (jedenfalls am Schluß eines Films) und gutem Essen. Eine spirituelle und vielleicht religiöse Komponente ist auch dabei: der Geist der Weihnacht.

Piraten und ihre Forderungen zu Kirche und Staat

  • Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 GG.
  • Laizistischer Staat: Trennung von Kirche und Staat, Schutz des Bürgers vor religiösen Einflüssen
  • Deutlicher antireligiöser Unterton: Religion meinetwegen, aber bitteschön nur im Privaten. In der Politik hat Religion nichts zu suchen.

Religion – was ist das eigentlich?

Damit wir wissen, worüber wir hier reden, wäre eine Definition des Begriffs Religion nützlich. Schlägt man in der Wikipedia nach, findet man allerdings schnell heraus, daß es über hundert Religionsdefinitionen gibt, von denen sich aber bisher keine als allgemein anerkannt hat durchsetzen können.

Versuch einer Definition

Wir versuchen trotzdem, uns dem Begriff ein wenig zu nähern:

  1. Im ersten Ansatz kann man Religion als Glauben an Gott definieren. Dabei denke man etwa an die drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam. Wobei Muslime das Christentum nicht als monotheistisch sehen, denn da hat Gott ja einen Sohn. Und es gibt viele Religionen, die mehrere oder sogar sehr viele Götter verehren.
  2. Diese Definition paßt aber nicht zu Religionen wie dem Zen-Buddhismus, die gar nicht an einen Gott glauben. Fassen wir die Definition etwas weiter und sagen: Religion beschäftigt sich mit dem Übernatürlichen.
  3. Doch diese Definition ist immer noch zu eng. Das können wir etwa am Hinduismus erkennen (soweit man überhaupt von dem Hinduismus sprechen kann): Hier sind die Gottheiten nicht übernatürlich, stehen also nicht über dem Natürlichen. Vielmehr sind sie Teil des Natürlichen und durchdringen es. Das Spirituelle ist Teil des Empirischen.
  4. Definieren wir also Religion noch allgemeiner und bezeichnen Religionen als Weltanschauungen. Das Grundgesetz sieht ja auch beide Begriffe eng beieinander und spricht in Artikel 4 bewußt von der »Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses«.  Meine Weltanschauung erklärt mir, wie alles zusammenhängt und wie die Welt und das Leben funktionieren oder funktionieren sollten.
    • Woher komme ich?
    • Wohin gehe ich?
    • Wie sollte ich leben?
    • Wie sollten wir miteinander leben?
    • Was ist der Sinn?

Verschiedene Religionen, verschiedene Weltanschauungen kommen hier zu unterschiedlichen Antworten.

Nichtreligiöse Religionen

Auch wenn wir Religion als Weltanschauung definieren, schwingt dabei dennoch immer die Idee des Göttlichen oder des Spirituellen mit. Es gibt aber bekanntlich auch Weltanschauungen, die dies ablehnen, beispielsweise Materialismus oder Teile des Humanismus. Auch der Materialismus hat Antworten auf die Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu. Nach materialistischer Sichtweise kommt der Mensch durch Zufall ins Leben. Bewußtsein, Gedanken, Ideen und Gefühle basieren allein auf Materie. Ein Weiterleben nach dem Tod gibt es nicht. Da sich das Leben allein auf das Diesseits erstreckt, sollte jeder so leben, daß er möglichst glücklich ist. Und da das die anderen ebenfalls wollen, sollten wir schauen, daß wir uns gegenseitig möglichst wenig in unserem Glücklichsein beeinträchtigen.

Der Materialismus ist keine verfaßte Religion. Dennoch erkennen wir einige Grundmuster und Gemeinsamkeiten:

  • Es gibt eine Dogmatik: Es ist alles Materie.
  • Es gibt eine Teleologie (Sinn, Zweck): Glücklichsein.
  • Es gibt eine Ethik: Regeln, die ein gutes Leben für alle ermöglichen sollen.

Entsprechendes gilt für andere nichtreligiöse Weltanschauungen.

Weltanschauungen sind axiomatisch

Und noch etwas Entscheidendes haben religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungen gemeinsam.

Jeder von uns gestaltet sein Leben nach bestimmten Prinzipien und Regeln, ganz egal, ob bewußt oder unbewußt. Bei dem, was wir tun, lassen wir uns leiten von dem, wie die Welt und das Leben unserer Meinung nach funktioniert oder funktionieren sollte. Diese Prinzipien und Regeln lassen sich letztlich zurückführen auf einige Grundannahmen oder Axiome. Wie wir die Dinge sehen und wie wir leben, beruht letztlich auf diesen Axiomen.

Axiome können wir nicht weiter begründen, sondern sind selbst die Grundlage unseres Weltbildes. In der Regel entziehen sie sich einem Beweis und sind in gewisser Weise willkürlich.

Beispielsweise kann ich die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes prinzipbedingt nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden beweisen. Es ist eine reine Annahme, ein Axiom.

Gehe ich davon aus, das es keinen Gott gibt und alles auf Materie beruht, hat das Konsequenzen für die Art und Weise, wie ich mein Leben führe. Ich bin dann nur mir selbst gegenüber verantwortlich, eventuell auch gegenüber anderen Menschen und gegenüber dem Staat. Vertrete ich humanistische Ideale, wird mir die Verantwortung gegenüber anderen besonders wichtig sein. Da ich annehme, daß mein Leben mit dem Tode endet und danach nichts mehr kommt, brauche ich mir über ein Leben nach dem Tod und über eine Verantwortung gegenüber einem Gott keine Gedanken zu machen.

Das sieht anders aus, wenn ich davon ausgehe, daß es einen Gott gibt und zwar den Gott der Bibel. Dann bin ich nicht nur mir selbst, anderen Menschen und dem Staat gegenüber verantwortlich, sondern auch Gott gegenüber – und zwar Gott gegenüber zuallererst. Dann geht das Leben nach dem Tod weiter, und die Entscheidungen, die ich im Leben vor dem Tod treffe, haben Konsequenzen auf mein Leben nach dem Tod.

In beiden Fällen gehen wir von Grundannahmen aus, die wir plausibel finden mögen, die wir aber nicht naturwissenschaftlich beweisen können. Der Atheist kann nicht beweisen, daß Gott nicht existiert. Und wenn ich davon erzähle, wie ich Gott erlebe, kann ich das lediglich bezeugen, aber nicht beweisen. Die Grundlagen von Religionen und von anderen Weltanschauungen sind Axiome und entziehen sich daher ihrem Wesen nach einer Argumentation. Sie sind daher immer auch willkürlich.

Übrigens trifft diese Willkürlichkeit auch für die Menschenrechte zu. Wir können sie bzw. ihr Gelten nicht weiter begründen, sondern nur sagen: Das ist eben so. Oder besser: Das wollen wir so. Und das ist keine Selbstverständlichkeit: die Menschenrechte galten und gelten längst nicht zu allen Zeiten und an allen Orten.

Zwischen den verschiedenen religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen bestehen bekanntlich große inhaltliche Unterschiede. Allen gemein ist aber, daß es bestimmte axiomatische Grundüberzeugungen gibt, aus denen sich Lebens- und Politikgestaltung ableiten. Der Unterschied zwischen einem religiösen und einem nichtreligiösen Menschen besteht also lediglich darin, daß der eine Mensch seine Grundüberzeugungen durch seinen Glauben prägen läßt und der andere nicht. Oder wie es neulich ein Pirat formuliert hat: Jeder hat einen Glauben, auch wenn er nicht religiös ist.

Der pragmatische Ansatz

Viele Piraten wollen aber den ganzen weltanschaulichen Kram einfach beiseite lassen. Entscheidungen sollten nicht von irgendwelchen religiösen, moralischen oder weltanschaulichen Standpunkten aus getroffen werden, sondern allein aufgrund pragmatischer Erwägungen. Es sollten Lösungen umgesetzt werden, die gut sind, die funktionieren, die uns zum Ziel führen.

Aber so etwas wie eine weltanschaulich neutrale Politik gibt es nicht. Das merken wir, wenn wir über unsere Ziele sprechen. Denn wie unsere Ziele aussehen, leiten wir ja aus unseren Grundüberzeugungen ab. Die können wir nicht an der Garderobe abgeben und so tun, als hätten wir keine. Das wollen wir ja auch gar nicht. Wir wollen doch genau das umsetzen, was unseren Grundüberzeugungen entspricht. Damit zeigt sich auch der pragmatische Ansatz als weltanschaulich geprägt.

Folgerungen für die Politik

  • Sämtliche Weltanschauungen beruhen auf Axiomen.
  • Aus Sicht des Staates besitzt damit keine einen begründbaren Vorzug. Es gibt allerdings Weltanschauungen, die sich nicht bewährt haben (z.B. Kommunismus oder Nationalsozialismus).
  • Daher soll der Staat neutral sein.
  • Der Staat darf keine Religion oder Weltanschauung benachteiligen oder bevorzugen. Der Staat soll neutral sein, aber nicht antireligiös.
  • Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 GG: (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
    • Jeder hat das Recht, religiöse oder nichtreligiöse Weltanschauung frei zu wählen.
    • Ungestörte Religionsausübung heißt übrigens durchaus auch öffentliche Religionsausübung
    • Jede Religion oder Weltanschauung hat das Recht, andere umfassend zu informieren und für sich /dafür zu werben.

Laizistischer Staat

  • Mit der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat habe ich als Freikirchler kein Problem. Freikirchen und Staat haben ja nicht so viele Berührungspunkte wie die katholische Kirche oder die evangelischen Landeskirchen. Das Problem ist eher, daß sich viele Christen aus den Freikirchen und die Freikirchen selbst so herzlich wenig für Politik interessieren. Als Christ sollte ich mich nicht nur für das ewige Heil der Menschen interessieren, sondern mich auch für ihr irdisches Wohl einsetzen.
  • Die Forderung nach Schutz des Bürgers vor religiösen Einflüssen ist Quatsch.
    • Sie widerspricht dem Recht auf Religionsfreiheit.
    • Sie ist eine Bevorzugung nichtreligiöser Weltanschauungen und damit eine Verletzung des Neutralitätsgebots.
  • Die Schule soll umfassend über die maßgeblichen Religionen und Weltanschauungen informieren. Keine Diskriminierung von Religionen durch Bevorzugung nichtreligiöser Weltanschauungen! Konfessioneller Religionsunterricht und konfessionelle Schulen sind Möglichkeiten dazu, aber nicht die einzigen.
  • Die Kirchen erbringen erhebliche Dienstleistungen für den Staat, z.B. in Kinderbetreuung oder Krankenpflege. Wer die strikte Trennung von Kirche und Staat will, soll erstmal ein Konzept vorlegen, wie er das auffangen will.
  • Potentiale heben! Christen, Muslime und die Angehörigen anderer Religionen nicht aus der Gesellschaft herausdrängen, sondern auffordern, Verantwortung zu übernehmen und sich für die Menschen in unserem Staat einzusetzen. Politikverdrossene Bürger haben wir mehr als genug!

Religion als Privatsache

  • Bei manchen Piraten hört man einen antireligiöser Unterton: Religion meinetwegen, aber bitteschön nur im Privaten. In der Politik hat Religion nichts zu suchen. Wie ich oben bereits gezeigt habe, ist eine religiös bzw. weltanschaulich neutrale Politik gar nicht möglich.
  • Religionsfreie Politik fordert von den Gläubigen etwas, was sie von keinem anderen fordert: Sie sollen ihre religiösen Überzeugungen bitteschön abgeben, bevor sie in den politischen Diskurs eintreten. Damit sollen sie das drangeben, was für viele von ihnen das Eigentliche ihres Lebens ist.

Und wieder Weihnachten

Und damit sind wir wieder da, wo wir angefangen haben: bei Weihnachten. Denn das Eigentliche meines Lebens hat mit dem zu ist, worum es Weihnachten geht oder besser: gehen sollte. Nein, nicht um den Geist der Weihnacht.

Die Grundüberzeugung meines Lebens ist, daß es einen Gott gibt und daß dieser Gott als kleines Kind vor 2000 Jahren auf die Welt gekommen ist. Das ist der Grund, warum wir Weihnachten feiern. Jesus hat das nicht aus Spaß gemacht. Das hat er gemacht, weil wir es ihm wert sind. Er will uns Sinn und Erfüllung geben. Das hat ihn Blut, Schweiß und Tränen gekostet – und das Leben. Doch damit sind wir eigentlich schon bei Karfreitag. Und bei Ostern. Und bei Himmelfahrt.

Beim Glauben geht es nicht darum, irgendeine Dogmatik für wahr zu halten oder sich irgendwelchen Gesetzen unterzuordnen. Es geht darum, Jesus persönlich kennenzulernen, eine Beziehung mit ihm einzugehen und das Leben mit ihm zu gestalten.

Wenn ich politische Weihnachtswünsche habe, dann diese:

  • Ich wünsche mir eine Politik, die mir erlaubt, das, was ich gerade gesagt habe, auch morgen noch frei und offen sagen zu können.
  • Ich wünsche mir Freiheit für die Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden und um ihr Leben fürchten müssen, z.B. in Nordkorea und vielen islamischen Staaten.
  • Ich wünsche mir natürlich auch, daß viele von euch anfangen, sich für den Glauben zu interessieren – in einem Staat, der das erlaubt und niemanden in eine bestimmte Glaubens- oder Unglaubensrichtung drängt.

In diesem Sinn euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Pirat bleiben oder gehen? Überlegungen nach dem Bundesparteitag der Piratenpartei

Und sie haben es doch getan! Auf ihrem Bundesparteitag vor zwei Wochen, am 20. und 21. November in Chemnitz, beschloß die Piratenpartei familienpolitische Ziele, die sich mit meinen Werten als Christ überhaupt nicht decken. Ich hatte darüber bereits im Vorfeld des Parteitags gebloggt, siehe »Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht?«.

Gleich nach diesen Beschlüssen hatte ich getwittert, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei überdenken zu müssen. Das habe ich inzwischen getan. In diesem Beitrag möchte ich meine Gedanken schildern und meinen Entschluß erläutern.

Die Parteitagsbeschlüsse

Was der Parteitag im einzelnen beschlossen hat, kann man im Piratenwiki auf der Seite der Antragskommission nachlesen. Da sind durchaus eine Menge guter Dinge dabei! Ich will aus den vielen Punkten, die ich unterstütze, nur zwei Beispiele herausgreifen:

Aber da sind auch die Punkte, die aus meiner Sicht überhaupt nicht gehen oder mit denen ich zumindest heftige Bauchschmerzen habe:

  • Hinter dem Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe steckt eine gute Absicht, die ich unterstütze. Ja, jeder Mensch soll ein Leben in Würde führen können. Das leitet sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab. Und dieses Leben in Würde soll unabhängig sein von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen. Insofern geht der Beschluß in die richtige Richtung.

    Viele Piraten verstehen darunter jedoch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Da sehe ich ganz erhebliche praktische Probleme. Beispielsweise hält nicht jeder die Begriffe Leistung und Leistungsfähigkeit sauber auseinander. Und ein ganz triviales Argument: Geld, das man ausgeben will, muß man zuvor eingenommen haben – es sei denn, man will mit der Verschuldungspolitik der jetzigen Regierung und ihrer diversen Vorgängerinnen weitermachen.

    Aber gut. Da der Beschluß ausdrücklich keinen bestimmten Weg zum Ziel ideologisch festschreibt, bin ich durchaus bereit, mich mit konkreten Konzepten auseinanderzusetzen.

  • Nur noch an den Kopf fassen kann ich mich aber angesichts der Forderung nach Abschaffung des § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten). So ein Schwachfug! Ich will das an dieser Stelle überhaupt nicht inhaltlich diskutieren. Aber, liebe Befürworter, laßt euch bitte nur mal die Frage gefallen, was dieser Beschluß wohl Außenstehenden signalisiert! Hat unser Land eigentlich keine dringenderen Probleme?

  • Ja, und schließlich haben wir diese Grundsatzbeschlüsse zur Queer- und Familienpolitik. Hier die einzelnen Module zum Nachlesen:

    Die Intention der Beschlüsse läßt sich bereits an Wortwahl und -stellung der Überschrift ablesen. Die lautet nicht etwa »Familienpolitik«, auch nicht »Familien- und Queerpolitik«, sondern »Queer- und Familienpolitik«. Diese Formulierung macht die Rangfolge klar. Es geht um Queerpolitik. Hier treibt eine rührige Gruppe von Piraten ihr Lieblingsthema voran. Und damit es mit der Zustimmung auf dem Parteitag auch bloß klappt, verquickt man seine Ideen noch mit ein paar gutklingenden Sätzen wie dem vom besonderen Schutz von Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder schwache Menschen versorgt werden. Ach ja, wer wollte auch Kindern oder Schwachen Schutz verweigern?

    Den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung spricht das Grundgesetz in Artikel 6 (1) jedoch nicht allen und nicht irgendwelchen Lebensgemeinschaften zu, sondern dediziert Ehe und Familie. Diesen besonderen Schutz will der Bundesparteitag offenbar ausgehebelt wissen. Den Widerspruch zum Grundgesetzartikel 6 hat man leichter Hand ignoriert. Sofern ich im Livestream nichts verpaßt habe, gab es nicht einmal eine Diskussion über diesen Aspekt! Hat das denn niemand bemerkt? Was für ein Armutszeugnis für eine Partei, die doch das Grundgesetz auf ihre orangen Fahnen geschrieben hat! Aber kaum steht es dem eigene Wollen und Wünschen im Weg, schiebt man es einfach beiseite. Das kennen wir doch bisher nur von gewissen anderen Parteien!

Verlorene Werte

Ich war 2009 in die Piratenpartei eingetreten, weil sie für mich die einzige politische Kraft war, der das Grundgesetz wirklich am Herzen liegt. Ich habe eine große Übereinstimmung gesehen zwischen den Werten der Piraten und meinen eigenen. Heute, nach diesem Bundesparteitag, ist die Schnittmenge erheblich geschrumpft – ebenso wie mein Vertrauen in die Grundgesetztreue der Piratenpartei.

Um diesen Blogbeitrag nicht zu lang werden zu lassen, will ich die inhaltliche Diskussion zu Einzelpunkte an dieser Stelle gar nicht führen. Vielleicht finde ich später die Zeit, meine Argumentation zu dem einen oder anderen Punkt darzustellen. Mir geht es heute nur um die eine Frage: Kann ich selbst mich noch in der Piratenpartei wiederfinden oder kann ich das nicht?

Wäre ich in der gleichen Situation wie 2009, als es für mich darum ging, in die Piratenpartei einzutreten oder nicht, wäre die Antwort ein klares Nein. Ein Blick in das neue Parteiprogramm, ein Blick auf die Schnittmenge der Werte, und die Sache wäre entschieden: nicht der Mühe wert!

Eine Geschichte mit Menschen

Allerdings ist meine Lage heute anders als vor meinem Eintritt. Damals war die Piratenpartei für mich eine mehr oder weniger abstrakte, unbekannte Organisation. Ich kannte nicht mehr als ihre Ziele. Diese Ziele fand ich gut, und wegen dieser Ziele bin ich die Piratenpartei eingetreten.

Seitdem ist viel passiert. Ich bin nicht bloß Mitglied, sondern habe einen Weg zurückgelegt mit dieser Partei. Es eine Geschichte mit Menschen. Es sind Begegnungen mit Piraten und Interessenten auf Stammtischen, an Infoständen, auf Parteitagen, auf dem Bahnhof, auf Twitter, auf Mailinglisten – und sogar am Telefon. Es ist der gemeinsame Aufbau der Pressearbeit in Nordrhein-Westfalen, es sind Begegnungen mit Menschen während des Sammelns von Unterstützungsunterschriften im Kreis Herford für meine Landtagskandidatur, es ist die Arbeit an der Dortmunder Kreisverbandssatzung. Es die persönlichen Begegnungen bei diesen und anderen Aktivitäten.

Die letzten eineinhalb Jahre waren für mich eine hochinteressante und wertvolle Zeit. Ich habe viel erfahren und viel gelernt. Und vor allem sind es die Menschen, die diese Zeit so wertvoll gemacht haben: diese Piraten, die so unverblümt ehrlich sind, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Meinung sagen – und sich dafür einsetzen, daß jeder andere in Deutschland und in der Welt das auch tun kann, ohne um seine Freiheit, seine Gesundheit oder um sein Leben fürchten zu müssen.

Parteiintern habe ich das in dieser Weise erlebt. Das ging natürlich nicht ohne Auseinandersetzungen ab. Wir haben gestritten, über Positionen diskutiert und um Vorgehensweisen gerungen. Und abseits von der Parteiarbeit gab’s spannende Unterhaltungen über Glaubensthemen, gerade mit meinen atheistischen Freunden. Ob wir nun derselben Meinung waren oder uns nicht einigen konnten: Jeder war offen für die Argumente des anderen und ist sachlich geblieben – na ja, fast jeder.

Und? Wie geht’s nun weiter?

Nachdem ich getwittert hatte, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei zu überdenken, haben sich eine ganze Reihe Piraten bei mir gemeldet und mich ermutigt, dabeizubleiben. Dieter Klein schätzt meine »unaufgeregte Art, andere Sichtweisen in die Diskussion zu bringen«. Fabio Reinhardt hat mir einen offenen Brief geschrieben. Andere haben getwittert, gemailt oder mich persönlich angesprochen.

Das berührt mich sehr.

Ehrliche Piraten

Ich merke: Hier ist echtes Interesse – an mir als Person, nicht nur an dem, was ich für die Partei leisten kann. Die Leute sind offen, sich mit dem zu auseinanderzusetzen, was ich denke und was ich glaube, auch wenn nicht alles dem eigenen Weltbild entspricht. Einige haben mich sogar explizit dazu aufgefordert, meine Sichtweisen in die Diskussion einzubringen und sie innerhalb der Partei zu vertreten.

In der persönlichen Begegnung mit anderen Piraten spüre ich, daß hier keine Ideologen am Werke sind, sondern eine tiefe innere Überzeugung da ist, mit den Parteitagsbeschlüssen Menschen wirklich helfen zu können. Ich teile diese Positionen inhaltlich nicht, aber die Ernsthaftigkeit beeindruckt mich. Piraten sind ehrliche Leute. Sie schielen nicht nach dem, womit sie möglichst viele Wählerstimmen ködern können, sondern entscheiden nach dem, was ihnen am Herzen liegt. – Ob es klug ist, alles, was man denkt, in Beschlüsse zu gießen, ist eine andere Frage.

Das alles macht es mir schwer, die Piraten zu verlassen.

Ich kann ja auch mein politisches Engagement nicht einfach wieder an den Nagel hängen. Bei den sonstigen Parteien, den sogenannten etablierten, könnte ich mich aber auch nicht zu Hause fühlen. Warum das gerade bei der Partei mit dem C so ist, hatte ich bereits an anderer Stelle erläutert.

Christliche Parteien

Und wie steht es mit den christlichen Parteien, also PBC, CM oder AUF? Denen müßte ich als Christ doch nahestehen, oder? Manches hört sich in der Tat gut an. Aber wenn die christlichen Parteien in die Parlamente kommen und dort etwas bewirken wollen, dann sollten sie sich als allererstes zu einer einzigen Partei zusammenschließen. Und konkrete Konzepte müßten her! Wahlplakate mit Bibelversen reichen nicht aus, um Politik zu machen. Kürzlich erzählte mir ein Journalist und Christ, er habe sich mehrfach in der PBC engagieren wollen, sei aber jedesmal eiskalt abgeblitzt, wenn er konkret und kritisch nach Konzepten gefragt habe. Die christlichen Parteien sind also auch keine Alternative, zumindest nicht zur Zeit.

Und Gott?

Die für mich wichtigste Frage bei der Enscheidung für oder gegen die Piratenpartei mag für manchen, der dies liest, überraschend sein. Es ist die Frage, wie Gott das sieht – genauer: wie er es für mich sieht. Ich frage ihn danach und ich bekomme Antworten. Das muß ich denjenigen Lesern, die keine Christen sind, ein bißchen erklären. Den Atheisten unter euch wird das quer heruntergehen und euch in eurer Meinung bestätigen, daß ich sowieso irgendwie schräg drauf bin. Vielleicht bekommt ihr aber auch eine Ahnung davon, daß euer Weltbild nicht nur schon deshalb die Realität korrekt und vollständig widerspiegelt, weil ihr das gern so haben wollt.

Mancher glaubt ja, Christsein bestünde aus einer Sammlung moralischer Regeln, die man einzuhalten habe. Daß das nicht stimmt, habe ich bereits in einem anderen Blogbeitrag erklärt. Christen glauben vielmehr, daß man zu Gott eine persönliche Beziehung haben kann und daß Gott mit seinen Leuten redet. Dieses Reden Gottes geschieht in der Regel nicht durch Visionen und Auditionen – zumindest ist das in unserem Kulturkreis selten. Vielmehr sind es oft kleine Begebenheiten im Alltag: ein Vers, den ich in der Bibel lesen, oder ein Satz, den ein anderer Christ mir sagt. Und ich spüre: Jetzt redet Gott zu mir! Ein Bibeltext ist dann nicht mehr bloß ein alter Text in einem bestimmten historischen Zusammenhang, sondern Gott spricht dadurch in meine Situation hinein. Der Text wird lebendig, wird für mich aktuell und hilft mir heute, eine Entscheidung zu treffen. Das funktioniert nicht mechanisch, das ist nicht machbar, und fromme Rituale nützen nichts. Das ist ein geistlicher Vorgang, der zu einer Zeit und auf eine Art und Weise geschieht, wie Gott es für richtig hält.

Nach dem Parteitag habe ich das erlebt, als ich in der Bibel die Stelle Johannes 17, 15 gelesen habe. Dort betet Jesus mit Blick auf seine Leute: »Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.« Und ich merke: Hier spricht Gott zu mir. Es sagt mir: »Die Welt – dazu gehört für dich auch die Piratenpartei. Zieh dich da nicht raus! Du hast da deinen Platz. Es ist gut, wenn du dabei bleibst. Ich werde mich schon darum kümmern, daß das eine gute Sache wird!«

In den folgenden Tagen habe ich weiter darüber nachgedacht und gebetet, um meine eigenen Gedanken von Gottes Gedanken unterscheiden zu können. Der starke Eindruck ist geblieben; ich bleibe also dabei.

Im Zwiespalt

Doch ich werde mit einem inneren Zwiespalt leben müssen. Mein Einsatz kann nicht mehr ungeteilt sein. Natürlich werde ich mich weiter für unsere Grundrechte einsetzen und mich für Themen wie JMStV, ACTA oder INDECT starkmachen. Positionen der Piratenpartei, die meinen inneren Überzeugungen zuwiderlaufen, kann ich aber am Infostand oder sonstwo nicht vertreten. Vielmehr habe ich vor, den innerparteilichen Dialog zu suchen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist ja etwas, was ich an der Piratenpartei richtig gutfinde: Ein solcher Dialog ist möglich! Nicht bei allen Parteien ist das der Fall. Meinungsvielfalt, wie sie einer demokratischen Partei angemessen ist: das finde ich gut! In diesem Zusammenhang ist auch der Blogbeitrag von Nineberry wichtig, der zur Meinungsvielfalt auffordert und unterschiedliche Strömungen begrüßt – Parteien innerhalb der Partei sozusagen.

Gegenüber anderen werde ich mein Engagement für die Piratenpartei auch mehr als zuvor begründen müssen. In meiner Gemeinde, der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) Dortmund, konnte ich bei der Landtagswahl eine ganze Reihe Wähler für die Piratenpartei mobilisieren. Das wird künftig anders sein. Man wird mein Engagement bei den Piraten wohl akzeptieren (müssen), aber selber Piratenpartei wählen? Wozu denn das? Für was von dem, was Christen wertvoll ist, steht die Piratenpartei denn ein? Die Idee von Parteien in einer Partei ist ja nicht unbedingt unmittelbar eingängig.

Aber gut. Eingetreten bin ich in die Piratenpartei, weil ich das Grundgesetz vor den etablierten Parteien schützen wollte. Jetzt bleibe ich dabei, um es auch vor der Piratenpartei zu schützen. Über Mitstreiter würde ich mich freuen.

Ich bleibe Querdenker statt Queerdenker.