Schlagwort-Archive: Regeln

Piraten und Religion

Um das Thema »Piraten und Religion« ging es am 23. Dezember im Dicken Engel.

Dicker Engel

Wer den Dicken Engel noch nicht kennt: Das ist eine virtuelle Kneipe, in der regelmäßig Mitglieder der Piratenpartei und gelegentlich auch andere Menschen herumhängen. Sie ist virtuell, weil man nur per Internet hineinkommt und Computer und Headset braucht, um mit den anderen zu schwatzen. Ja, und die Software Mumble braucht man auch. Mehr dazu auf der Seite des Dicken Engels im Piratenwiki.

Donnerstags gibt es immer einen Themenabend mit Referenten, Vortrag und Diskussion. Und für den 23. Dezember schien ob der zeitlichen Nähe zu Weihnachten ein religiöses Thema angebracht. Offenbar bin ich in der Piratenpartei als religiöser Mensch bekannt. Jedenfalls habe ich mich über die Anfrage als Referent sehr gefreut.

Hier mein Vortrag:

Weihnachten

Folgt man den typischen Disney-Weihnachtsfilmen, so besteht Weihnachten vor allem aus folgenden Zutaten: Santa Claus, Nordpol, Elfen, Spielzeug, Schlitten, Rentieren (inkl. dem rotnasigen Rudolph), geschmücktem Weihnachstbaum, Geschenken, strahlenden Kinderaugen, glücklichen Erwachsene, heilen Familie (jedenfalls am Schluß eines Films) und gutem Essen. Eine spirituelle und vielleicht religiöse Komponente ist auch dabei: der Geist der Weihnacht.

Piraten und ihre Forderungen zu Kirche und Staat

  • Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 GG.
  • Laizistischer Staat: Trennung von Kirche und Staat, Schutz des Bürgers vor religiösen Einflüssen
  • Deutlicher antireligiöser Unterton: Religion meinetwegen, aber bitteschön nur im Privaten. In der Politik hat Religion nichts zu suchen.

Religion – was ist das eigentlich?

Damit wir wissen, worüber wir hier reden, wäre eine Definition des Begriffs Religion nützlich. Schlägt man in der Wikipedia nach, findet man allerdings schnell heraus, daß es über hundert Religionsdefinitionen gibt, von denen sich aber bisher keine als allgemein anerkannt hat durchsetzen können.

Versuch einer Definition

Wir versuchen trotzdem, uns dem Begriff ein wenig zu nähern:

  1. Im ersten Ansatz kann man Religion als Glauben an Gott definieren. Dabei denke man etwa an die drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam. Wobei Muslime das Christentum nicht als monotheistisch sehen, denn da hat Gott ja einen Sohn. Und es gibt viele Religionen, die mehrere oder sogar sehr viele Götter verehren.
  2. Diese Definition paßt aber nicht zu Religionen wie dem Zen-Buddhismus, die gar nicht an einen Gott glauben. Fassen wir die Definition etwas weiter und sagen: Religion beschäftigt sich mit dem Übernatürlichen.
  3. Doch diese Definition ist immer noch zu eng. Das können wir etwa am Hinduismus erkennen (soweit man überhaupt von dem Hinduismus sprechen kann): Hier sind die Gottheiten nicht übernatürlich, stehen also nicht über dem Natürlichen. Vielmehr sind sie Teil des Natürlichen und durchdringen es. Das Spirituelle ist Teil des Empirischen.
  4. Definieren wir also Religion noch allgemeiner und bezeichnen Religionen als Weltanschauungen. Das Grundgesetz sieht ja auch beide Begriffe eng beieinander und spricht in Artikel 4 bewußt von der »Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses«.  Meine Weltanschauung erklärt mir, wie alles zusammenhängt und wie die Welt und das Leben funktionieren oder funktionieren sollten.
    • Woher komme ich?
    • Wohin gehe ich?
    • Wie sollte ich leben?
    • Wie sollten wir miteinander leben?
    • Was ist der Sinn?

Verschiedene Religionen, verschiedene Weltanschauungen kommen hier zu unterschiedlichen Antworten.

Nichtreligiöse Religionen

Auch wenn wir Religion als Weltanschauung definieren, schwingt dabei dennoch immer die Idee des Göttlichen oder des Spirituellen mit. Es gibt aber bekanntlich auch Weltanschauungen, die dies ablehnen, beispielsweise Materialismus oder Teile des Humanismus. Auch der Materialismus hat Antworten auf die Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu. Nach materialistischer Sichtweise kommt der Mensch durch Zufall ins Leben. Bewußtsein, Gedanken, Ideen und Gefühle basieren allein auf Materie. Ein Weiterleben nach dem Tod gibt es nicht. Da sich das Leben allein auf das Diesseits erstreckt, sollte jeder so leben, daß er möglichst glücklich ist. Und da das die anderen ebenfalls wollen, sollten wir schauen, daß wir uns gegenseitig möglichst wenig in unserem Glücklichsein beeinträchtigen.

Der Materialismus ist keine verfaßte Religion. Dennoch erkennen wir einige Grundmuster und Gemeinsamkeiten:

  • Es gibt eine Dogmatik: Es ist alles Materie.
  • Es gibt eine Teleologie (Sinn, Zweck): Glücklichsein.
  • Es gibt eine Ethik: Regeln, die ein gutes Leben für alle ermöglichen sollen.

Entsprechendes gilt für andere nichtreligiöse Weltanschauungen.

Weltanschauungen sind axiomatisch

Und noch etwas Entscheidendes haben religiöse und nichtreligiöse Weltanschauungen gemeinsam.

Jeder von uns gestaltet sein Leben nach bestimmten Prinzipien und Regeln, ganz egal, ob bewußt oder unbewußt. Bei dem, was wir tun, lassen wir uns leiten von dem, wie die Welt und das Leben unserer Meinung nach funktioniert oder funktionieren sollte. Diese Prinzipien und Regeln lassen sich letztlich zurückführen auf einige Grundannahmen oder Axiome. Wie wir die Dinge sehen und wie wir leben, beruht letztlich auf diesen Axiomen.

Axiome können wir nicht weiter begründen, sondern sind selbst die Grundlage unseres Weltbildes. In der Regel entziehen sie sich einem Beweis und sind in gewisser Weise willkürlich.

Beispielsweise kann ich die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes prinzipbedingt nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden beweisen. Es ist eine reine Annahme, ein Axiom.

Gehe ich davon aus, das es keinen Gott gibt und alles auf Materie beruht, hat das Konsequenzen für die Art und Weise, wie ich mein Leben führe. Ich bin dann nur mir selbst gegenüber verantwortlich, eventuell auch gegenüber anderen Menschen und gegenüber dem Staat. Vertrete ich humanistische Ideale, wird mir die Verantwortung gegenüber anderen besonders wichtig sein. Da ich annehme, daß mein Leben mit dem Tode endet und danach nichts mehr kommt, brauche ich mir über ein Leben nach dem Tod und über eine Verantwortung gegenüber einem Gott keine Gedanken zu machen.

Das sieht anders aus, wenn ich davon ausgehe, daß es einen Gott gibt und zwar den Gott der Bibel. Dann bin ich nicht nur mir selbst, anderen Menschen und dem Staat gegenüber verantwortlich, sondern auch Gott gegenüber – und zwar Gott gegenüber zuallererst. Dann geht das Leben nach dem Tod weiter, und die Entscheidungen, die ich im Leben vor dem Tod treffe, haben Konsequenzen auf mein Leben nach dem Tod.

In beiden Fällen gehen wir von Grundannahmen aus, die wir plausibel finden mögen, die wir aber nicht naturwissenschaftlich beweisen können. Der Atheist kann nicht beweisen, daß Gott nicht existiert. Und wenn ich davon erzähle, wie ich Gott erlebe, kann ich das lediglich bezeugen, aber nicht beweisen. Die Grundlagen von Religionen und von anderen Weltanschauungen sind Axiome und entziehen sich daher ihrem Wesen nach einer Argumentation. Sie sind daher immer auch willkürlich.

Übrigens trifft diese Willkürlichkeit auch für die Menschenrechte zu. Wir können sie bzw. ihr Gelten nicht weiter begründen, sondern nur sagen: Das ist eben so. Oder besser: Das wollen wir so. Und das ist keine Selbstverständlichkeit: die Menschenrechte galten und gelten längst nicht zu allen Zeiten und an allen Orten.

Zwischen den verschiedenen religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen bestehen bekanntlich große inhaltliche Unterschiede. Allen gemein ist aber, daß es bestimmte axiomatische Grundüberzeugungen gibt, aus denen sich Lebens- und Politikgestaltung ableiten. Der Unterschied zwischen einem religiösen und einem nichtreligiösen Menschen besteht also lediglich darin, daß der eine Mensch seine Grundüberzeugungen durch seinen Glauben prägen läßt und der andere nicht. Oder wie es neulich ein Pirat formuliert hat: Jeder hat einen Glauben, auch wenn er nicht religiös ist.

Der pragmatische Ansatz

Viele Piraten wollen aber den ganzen weltanschaulichen Kram einfach beiseite lassen. Entscheidungen sollten nicht von irgendwelchen religiösen, moralischen oder weltanschaulichen Standpunkten aus getroffen werden, sondern allein aufgrund pragmatischer Erwägungen. Es sollten Lösungen umgesetzt werden, die gut sind, die funktionieren, die uns zum Ziel führen.

Aber so etwas wie eine weltanschaulich neutrale Politik gibt es nicht. Das merken wir, wenn wir über unsere Ziele sprechen. Denn wie unsere Ziele aussehen, leiten wir ja aus unseren Grundüberzeugungen ab. Die können wir nicht an der Garderobe abgeben und so tun, als hätten wir keine. Das wollen wir ja auch gar nicht. Wir wollen doch genau das umsetzen, was unseren Grundüberzeugungen entspricht. Damit zeigt sich auch der pragmatische Ansatz als weltanschaulich geprägt.

Folgerungen für die Politik

  • Sämtliche Weltanschauungen beruhen auf Axiomen.
  • Aus Sicht des Staates besitzt damit keine einen begründbaren Vorzug. Es gibt allerdings Weltanschauungen, die sich nicht bewährt haben (z.B. Kommunismus oder Nationalsozialismus).
  • Daher soll der Staat neutral sein.
  • Der Staat darf keine Religion oder Weltanschauung benachteiligen oder bevorzugen. Der Staat soll neutral sein, aber nicht antireligiös.
  • Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 GG: (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
    • Jeder hat das Recht, religiöse oder nichtreligiöse Weltanschauung frei zu wählen.
    • Ungestörte Religionsausübung heißt übrigens durchaus auch öffentliche Religionsausübung
    • Jede Religion oder Weltanschauung hat das Recht, andere umfassend zu informieren und für sich /dafür zu werben.

Laizistischer Staat

  • Mit der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat habe ich als Freikirchler kein Problem. Freikirchen und Staat haben ja nicht so viele Berührungspunkte wie die katholische Kirche oder die evangelischen Landeskirchen. Das Problem ist eher, daß sich viele Christen aus den Freikirchen und die Freikirchen selbst so herzlich wenig für Politik interessieren. Als Christ sollte ich mich nicht nur für das ewige Heil der Menschen interessieren, sondern mich auch für ihr irdisches Wohl einsetzen.
  • Die Forderung nach Schutz des Bürgers vor religiösen Einflüssen ist Quatsch.
    • Sie widerspricht dem Recht auf Religionsfreiheit.
    • Sie ist eine Bevorzugung nichtreligiöser Weltanschauungen und damit eine Verletzung des Neutralitätsgebots.
  • Die Schule soll umfassend über die maßgeblichen Religionen und Weltanschauungen informieren. Keine Diskriminierung von Religionen durch Bevorzugung nichtreligiöser Weltanschauungen! Konfessioneller Religionsunterricht und konfessionelle Schulen sind Möglichkeiten dazu, aber nicht die einzigen.
  • Die Kirchen erbringen erhebliche Dienstleistungen für den Staat, z.B. in Kinderbetreuung oder Krankenpflege. Wer die strikte Trennung von Kirche und Staat will, soll erstmal ein Konzept vorlegen, wie er das auffangen will.
  • Potentiale heben! Christen, Muslime und die Angehörigen anderer Religionen nicht aus der Gesellschaft herausdrängen, sondern auffordern, Verantwortung zu übernehmen und sich für die Menschen in unserem Staat einzusetzen. Politikverdrossene Bürger haben wir mehr als genug!

Religion als Privatsache

  • Bei manchen Piraten hört man einen antireligiöser Unterton: Religion meinetwegen, aber bitteschön nur im Privaten. In der Politik hat Religion nichts zu suchen. Wie ich oben bereits gezeigt habe, ist eine religiös bzw. weltanschaulich neutrale Politik gar nicht möglich.
  • Religionsfreie Politik fordert von den Gläubigen etwas, was sie von keinem anderen fordert: Sie sollen ihre religiösen Überzeugungen bitteschön abgeben, bevor sie in den politischen Diskurs eintreten. Damit sollen sie das drangeben, was für viele von ihnen das Eigentliche ihres Lebens ist.

Und wieder Weihnachten

Und damit sind wir wieder da, wo wir angefangen haben: bei Weihnachten. Denn das Eigentliche meines Lebens hat mit dem zu ist, worum es Weihnachten geht oder besser: gehen sollte. Nein, nicht um den Geist der Weihnacht.

Die Grundüberzeugung meines Lebens ist, daß es einen Gott gibt und daß dieser Gott als kleines Kind vor 2000 Jahren auf die Welt gekommen ist. Das ist der Grund, warum wir Weihnachten feiern. Jesus hat das nicht aus Spaß gemacht. Das hat er gemacht, weil wir es ihm wert sind. Er will uns Sinn und Erfüllung geben. Das hat ihn Blut, Schweiß und Tränen gekostet – und das Leben. Doch damit sind wir eigentlich schon bei Karfreitag. Und bei Ostern. Und bei Himmelfahrt.

Beim Glauben geht es nicht darum, irgendeine Dogmatik für wahr zu halten oder sich irgendwelchen Gesetzen unterzuordnen. Es geht darum, Jesus persönlich kennenzulernen, eine Beziehung mit ihm einzugehen und das Leben mit ihm zu gestalten.

Wenn ich politische Weihnachtswünsche habe, dann diese:

  • Ich wünsche mir eine Politik, die mir erlaubt, das, was ich gerade gesagt habe, auch morgen noch frei und offen sagen zu können.
  • Ich wünsche mir Freiheit für die Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden und um ihr Leben fürchten müssen, z.B. in Nordkorea und vielen islamischen Staaten.
  • Ich wünsche mir natürlich auch, daß viele von euch anfangen, sich für den Glauben zu interessieren – in einem Staat, der das erlaubt und niemanden in eine bestimmte Glaubens- oder Unglaubensrichtung drängt.

In diesem Sinn euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Werbung