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Aufregung ums Tanzverbot

Wie im letzten Jahr ist auch in diesem pünktlich zum Karfreitag das Tanzverbot ein Aufreger. Vor einem Jahr hatte ich meine persönliche Sicht der Dinge im Blogbeitrag »Der Herr des Tanzes« zusammengefaßt. Bevor ich auf die diesjährigen Ereignisse eingehe, empfehle ich, diesen Beitrag nachzulesen, um meine eigene Position besser zu verstehen.

Piratenpartei Hessen gegen Tanzverbot

In diesem Jahr macht die Piratenpartei Hessen von sich reden, weil sie am Karfreitag in Frankfurt und Gießen Demonstrationen gegen das Tanzverbot durchführen wollte. Das wurde von den Behörden verboten, das Verbot wurde von den Verwaltungsgerichten bestätigt, und nun wollen die hessischen Piraten vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, da sie im Tanzverbot eine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit sehen.

Ich halte einer Verfassungsklage oder sonstigen Aktionen gegen das Tanzverbot für sinnfrei bis schädlich. Daß ich selbst Christ bin, hat – wie in »Der Herr des Tanzes« erläutert – damit noch nicht einmal zu tun. Ich bin dagegen »aus Gründen«:

Versammlungsfreiheit gewährleistet

Erstens ist eine Verfassungsklage gegen das Tanzverbot völlig aussichtslos.

Die Tanzverbotsgegner sehen ja im Tanzverbot eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 Grundgesetz (GG). Ich bin zwar kein Jurist und erst recht kein Verfassungsrechtler, aber aus dem Tanzverbot eine Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abzuleiten, scheint mit doch sehr weit hergeholt. Dazu ist der Wortlaut des Artikels 8 GG viel zu eindeutig und klar, steht da doch in Satz 1:

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Ha, werden die Tanzverbotsgegner sagen, da haben wir’s! Wir sind friedlich, wir sind ohne Waffen, also dürfen wir uns versammeln – noch dazu ohne Anmeldung!

Allerdings gibt es im Artikel 8 GG auch noch den Satz 2:

Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

An dieser Stelle könnten wir eigentlich aufhören. Juristisch ist das Thema damit durch. Eine Demonstration ist eine Versammlung unter freiem Himmel. Dafür sind Beschränkungen durch oder aufgrund von Gesetz zulässig. Das ist hier gegeben. Ende der verfassungsrechtlichen Diskussion.

Aber auch inhaltlich sind solche Beschränkungen im Prinzip durchaus sinnvoll. Man stelle sich vor, eine lautstarke Demo solle zu nachtschlafener Zeit durch ein Wohngebiet führen! Völlig klar, daß es dafür keine Genehmigung geben darf, oder jedenfalls nur in Ausnahmefällen. Wäre das ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit? Wohl kaum!

Wer ändern will, was wann wo erlaubt oder verboten ist, soll sich eine parlamentarische Mehrheit suchen und Gesetze oder Verordnungen ändern!

Grundrechte relativiert

Zweitens relativiert die Berufung auf die Versammlungsfreiheit beim Vorgehen gegen das Tanzverbot die Grundrechte.

Ich bin in die Piratenpartei eingetreten, weil mir Freiheit und Grundrechte am Herzen liegen und ich etwas gegen ihre Erosion durch die überkommene Politik tun will. Ich will, daß Menschen ohne Angst ihre Meinung sagen können. Ich will, daß Menschen sich auf der Straße und im Internet bewegen können, ohne ihren Personalausweis vor sich her tragen zu müssen. Ich will, daß unsere Kommunikation frei bleibt von anlaßloser Überwachung, daß Menschen frei bleiben von grundlosen Pauschalverdächtigungen. Ich will, daß Menschen ihren Glauben oder ihre weltanschauliche Überzeugung frei und offen leben können. Darum engagiere ich mich. Darum setze ich mich ein gegen Netzsperren, ACTA oder INDECT. Darum kämpfe ich auch für Religionsfreiheit. Und gerade letzteres scheint innerhalb der Piratenpartei leider besonders nötig zu sein.

Wer beim Tanzverbot von einer Einschränkung der Grundrechte spricht, relativiert damit die wirklich wichtigen Dinge und zieht sie in den Dreck. Ach, Netzsperren sind gar nicht wichtiger als ein Tanzverbot? Überwachung aller Bürger mit INDECT ist gar nicht unerträglicher als ein Tanzverbot am Karfreitag? Na, dann ist das ja alles halb so wild!

Matthias Kamann bringt es in seinem Kommentar in der Welt auf den Punkt: »Kruzifix, ist das eine schwere Menschenrechtsverletzung, die den hessischen Bürgern da von ihrem Feiertagsgesetz angetan wird!«

Auf Twitter verstieg sich sogar jemand zu einer Gleichsetzung von Tanzverbot und Folter! Solche Vergleiche sind absolut unsensibel gegenüber Folteropfern. Sie tun dem Kampf für die Grundrechte keinen Dienst, ziehen ihn ins Lächerliche und sind im besten Fall albern.

Politisch ungeschickt

Drittens ist das Vorgehen der Piratenpartei politisch ungeschickt und dumm.

Wer das Tanzverbot kippen will, kann das mit dem Grundgesetz als Hebel via Karlsruhe nicht erreichen – siehe oben. Ungeschickt und dumm ist schon die Ankündigung einer Verfassungsbeschwerde, da die Erfolgsaussichten gleich null sind.

Bleibt nur die Möglichkeit, sich in den Landtagen politische Mehrheiten zu suchen und die Feiertagsgesetze entsprechend zu ändern. Das ist natürlich schwierig, wenn man wie in Hessen noch nicht einmal selbst im Landtag vertreten ist, geschweige denn eine Regierungsmehrheit hinter sich weiß.

Hier gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Wenn man Menschen für den eigenen Standpunkt gewinnen will, klappt das besser, indem man auf sie zugeht und mit ihnen redet, statt sie zu brüskieren und vor den Kopf zu stoßen.

Auf Twitter wies @trichers darauf hin, man solle sein politisches Handeln an seinen Überzeugungen festmachen und nicht an der Popularität. Das ist einerseits natürlich richtig. Andererseits hat sich ja gerade die Piratenpartei das Thema Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben und sollte daher zumindest mal darüber nachzudenken, ob die Mehrheit der Bürger die Sache mit dem Tanzverbot wohl genauso sieht. Vielleicht vertreten die hessischen Piraten ja auch nur eine Minderheit, die unter diesem Joch ächzt.

Bei Themen, die mit dem christlichen Glauben zu tun haben, könnten man beim nächsten Mal einfach mal die Christen innerhalb der Piratenpartei zu fragen, was die davon halten. Den Blick verengen würde das nicht.

Respekt verweigert

Viertens vermisse ich bei manchen Piraten den Respekt vor Andersdenkenden und Andersglaubenden.

Vielen Diskussionen auf Twitter zeigen mir, daß es in der Piratenpartei Leute gibt, die nicht nur nur areligiös sind – das ist ihr gutes Recht –, sondern antireligiös – und das geht mal gar nicht! Da ist dann jedes Mittel recht, um gegen »die Kirche« oder »die Religiösen« zu Felde zu ziehen. Es ist erschreckend, welcher Haß und welche Intoleranz da zum Vorschein kommen! Und bei manchen wird mir Angst und Bange bei der Vorstellung, daß diese Leute, die einen heute »nur« aus der Partei werfen wollen, morgen in der Regierung sind!

Ich wünsche mir grundsätzlich einen respektvollen Umgang miteinander. Man muß die Überzeugungen, den Glauben oder die Traditionen des anderen nicht teilen, aber man sollte sie achten und nicht mit Füßen treten. Ich möchte den anderen immer als Mensch sehen, dessen Würde nicht mit seinen Ansichten steht und fällt, siehe Artikel 1 GG. Das erwarte ich ungekehrt aber auch von meinem Gegenüber.

Mit einer solchen Haltung könnten Tanzverbotsgegner viel eher überzeugen als mit dumpfem Protest. Oder wie es Matthias Kamann formuliert: »Es würde die Gottlosigkeit deutlich attraktiver machen, wenn Atheisten wenigstens an einem Tag im Jahr zu jener kollektiven Trauer fähig wären, der sich Christen in der Karwoche unterziehen.«

Zurück zum Eigentlichen

So, und falls sich jemand nach dieser unsäglichen Diskussion noch für die eigentlichen Inhalte von Karfreitag und Ostern interessiert, kann er die Geschichte hier in der Bibel nachlesen:

  • Matthäus-Evangelium, Kapitel 26, 27 und 28
  • Markus-Evangelium, Kapitel 14, 15 und 16
  • Lukas-Evangelium, Kapitel 21, 22 und 23
  • Johannes-Evangelium, Kapitel 18, 19 und 20

Update:

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde der Piratenpartei zurückgewiesen. Die Piraten hätten zunächst den hessischen Verwaltungsgerichtshof anrufen sollen.

Man sollte sich schon ein klein wenig mit dem juristischen Kram auskennen oder jemanden fragen, der etwas davon versteht. Das schützt vor Blamagen.

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Pirat bleiben oder gehen? Überlegungen nach dem Bundesparteitag der Piratenpartei

Und sie haben es doch getan! Auf ihrem Bundesparteitag vor zwei Wochen, am 20. und 21. November in Chemnitz, beschloß die Piratenpartei familienpolitische Ziele, die sich mit meinen Werten als Christ überhaupt nicht decken. Ich hatte darüber bereits im Vorfeld des Parteitags gebloggt, siehe »Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht?«.

Gleich nach diesen Beschlüssen hatte ich getwittert, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei überdenken zu müssen. Das habe ich inzwischen getan. In diesem Beitrag möchte ich meine Gedanken schildern und meinen Entschluß erläutern.

Die Parteitagsbeschlüsse

Was der Parteitag im einzelnen beschlossen hat, kann man im Piratenwiki auf der Seite der Antragskommission nachlesen. Da sind durchaus eine Menge guter Dinge dabei! Ich will aus den vielen Punkten, die ich unterstütze, nur zwei Beispiele herausgreifen:

Aber da sind auch die Punkte, die aus meiner Sicht überhaupt nicht gehen oder mit denen ich zumindest heftige Bauchschmerzen habe:

  • Hinter dem Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe steckt eine gute Absicht, die ich unterstütze. Ja, jeder Mensch soll ein Leben in Würde führen können. Das leitet sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab. Und dieses Leben in Würde soll unabhängig sein von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen. Insofern geht der Beschluß in die richtige Richtung.

    Viele Piraten verstehen darunter jedoch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Da sehe ich ganz erhebliche praktische Probleme. Beispielsweise hält nicht jeder die Begriffe Leistung und Leistungsfähigkeit sauber auseinander. Und ein ganz triviales Argument: Geld, das man ausgeben will, muß man zuvor eingenommen haben – es sei denn, man will mit der Verschuldungspolitik der jetzigen Regierung und ihrer diversen Vorgängerinnen weitermachen.

    Aber gut. Da der Beschluß ausdrücklich keinen bestimmten Weg zum Ziel ideologisch festschreibt, bin ich durchaus bereit, mich mit konkreten Konzepten auseinanderzusetzen.

  • Nur noch an den Kopf fassen kann ich mich aber angesichts der Forderung nach Abschaffung des § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten). So ein Schwachfug! Ich will das an dieser Stelle überhaupt nicht inhaltlich diskutieren. Aber, liebe Befürworter, laßt euch bitte nur mal die Frage gefallen, was dieser Beschluß wohl Außenstehenden signalisiert! Hat unser Land eigentlich keine dringenderen Probleme?

  • Ja, und schließlich haben wir diese Grundsatzbeschlüsse zur Queer- und Familienpolitik. Hier die einzelnen Module zum Nachlesen:

    Die Intention der Beschlüsse läßt sich bereits an Wortwahl und -stellung der Überschrift ablesen. Die lautet nicht etwa »Familienpolitik«, auch nicht »Familien- und Queerpolitik«, sondern »Queer- und Familienpolitik«. Diese Formulierung macht die Rangfolge klar. Es geht um Queerpolitik. Hier treibt eine rührige Gruppe von Piraten ihr Lieblingsthema voran. Und damit es mit der Zustimmung auf dem Parteitag auch bloß klappt, verquickt man seine Ideen noch mit ein paar gutklingenden Sätzen wie dem vom besonderen Schutz von Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder schwache Menschen versorgt werden. Ach ja, wer wollte auch Kindern oder Schwachen Schutz verweigern?

    Den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung spricht das Grundgesetz in Artikel 6 (1) jedoch nicht allen und nicht irgendwelchen Lebensgemeinschaften zu, sondern dediziert Ehe und Familie. Diesen besonderen Schutz will der Bundesparteitag offenbar ausgehebelt wissen. Den Widerspruch zum Grundgesetzartikel 6 hat man leichter Hand ignoriert. Sofern ich im Livestream nichts verpaßt habe, gab es nicht einmal eine Diskussion über diesen Aspekt! Hat das denn niemand bemerkt? Was für ein Armutszeugnis für eine Partei, die doch das Grundgesetz auf ihre orangen Fahnen geschrieben hat! Aber kaum steht es dem eigene Wollen und Wünschen im Weg, schiebt man es einfach beiseite. Das kennen wir doch bisher nur von gewissen anderen Parteien!

Verlorene Werte

Ich war 2009 in die Piratenpartei eingetreten, weil sie für mich die einzige politische Kraft war, der das Grundgesetz wirklich am Herzen liegt. Ich habe eine große Übereinstimmung gesehen zwischen den Werten der Piraten und meinen eigenen. Heute, nach diesem Bundesparteitag, ist die Schnittmenge erheblich geschrumpft – ebenso wie mein Vertrauen in die Grundgesetztreue der Piratenpartei.

Um diesen Blogbeitrag nicht zu lang werden zu lassen, will ich die inhaltliche Diskussion zu Einzelpunkte an dieser Stelle gar nicht führen. Vielleicht finde ich später die Zeit, meine Argumentation zu dem einen oder anderen Punkt darzustellen. Mir geht es heute nur um die eine Frage: Kann ich selbst mich noch in der Piratenpartei wiederfinden oder kann ich das nicht?

Wäre ich in der gleichen Situation wie 2009, als es für mich darum ging, in die Piratenpartei einzutreten oder nicht, wäre die Antwort ein klares Nein. Ein Blick in das neue Parteiprogramm, ein Blick auf die Schnittmenge der Werte, und die Sache wäre entschieden: nicht der Mühe wert!

Eine Geschichte mit Menschen

Allerdings ist meine Lage heute anders als vor meinem Eintritt. Damals war die Piratenpartei für mich eine mehr oder weniger abstrakte, unbekannte Organisation. Ich kannte nicht mehr als ihre Ziele. Diese Ziele fand ich gut, und wegen dieser Ziele bin ich die Piratenpartei eingetreten.

Seitdem ist viel passiert. Ich bin nicht bloß Mitglied, sondern habe einen Weg zurückgelegt mit dieser Partei. Es eine Geschichte mit Menschen. Es sind Begegnungen mit Piraten und Interessenten auf Stammtischen, an Infoständen, auf Parteitagen, auf dem Bahnhof, auf Twitter, auf Mailinglisten – und sogar am Telefon. Es ist der gemeinsame Aufbau der Pressearbeit in Nordrhein-Westfalen, es sind Begegnungen mit Menschen während des Sammelns von Unterstützungsunterschriften im Kreis Herford für meine Landtagskandidatur, es ist die Arbeit an der Dortmunder Kreisverbandssatzung. Es die persönlichen Begegnungen bei diesen und anderen Aktivitäten.

Die letzten eineinhalb Jahre waren für mich eine hochinteressante und wertvolle Zeit. Ich habe viel erfahren und viel gelernt. Und vor allem sind es die Menschen, die diese Zeit so wertvoll gemacht haben: diese Piraten, die so unverblümt ehrlich sind, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Meinung sagen – und sich dafür einsetzen, daß jeder andere in Deutschland und in der Welt das auch tun kann, ohne um seine Freiheit, seine Gesundheit oder um sein Leben fürchten zu müssen.

Parteiintern habe ich das in dieser Weise erlebt. Das ging natürlich nicht ohne Auseinandersetzungen ab. Wir haben gestritten, über Positionen diskutiert und um Vorgehensweisen gerungen. Und abseits von der Parteiarbeit gab’s spannende Unterhaltungen über Glaubensthemen, gerade mit meinen atheistischen Freunden. Ob wir nun derselben Meinung waren oder uns nicht einigen konnten: Jeder war offen für die Argumente des anderen und ist sachlich geblieben – na ja, fast jeder.

Und? Wie geht’s nun weiter?

Nachdem ich getwittert hatte, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei zu überdenken, haben sich eine ganze Reihe Piraten bei mir gemeldet und mich ermutigt, dabeizubleiben. Dieter Klein schätzt meine »unaufgeregte Art, andere Sichtweisen in die Diskussion zu bringen«. Fabio Reinhardt hat mir einen offenen Brief geschrieben. Andere haben getwittert, gemailt oder mich persönlich angesprochen.

Das berührt mich sehr.

Ehrliche Piraten

Ich merke: Hier ist echtes Interesse – an mir als Person, nicht nur an dem, was ich für die Partei leisten kann. Die Leute sind offen, sich mit dem zu auseinanderzusetzen, was ich denke und was ich glaube, auch wenn nicht alles dem eigenen Weltbild entspricht. Einige haben mich sogar explizit dazu aufgefordert, meine Sichtweisen in die Diskussion einzubringen und sie innerhalb der Partei zu vertreten.

In der persönlichen Begegnung mit anderen Piraten spüre ich, daß hier keine Ideologen am Werke sind, sondern eine tiefe innere Überzeugung da ist, mit den Parteitagsbeschlüssen Menschen wirklich helfen zu können. Ich teile diese Positionen inhaltlich nicht, aber die Ernsthaftigkeit beeindruckt mich. Piraten sind ehrliche Leute. Sie schielen nicht nach dem, womit sie möglichst viele Wählerstimmen ködern können, sondern entscheiden nach dem, was ihnen am Herzen liegt. – Ob es klug ist, alles, was man denkt, in Beschlüsse zu gießen, ist eine andere Frage.

Das alles macht es mir schwer, die Piraten zu verlassen.

Ich kann ja auch mein politisches Engagement nicht einfach wieder an den Nagel hängen. Bei den sonstigen Parteien, den sogenannten etablierten, könnte ich mich aber auch nicht zu Hause fühlen. Warum das gerade bei der Partei mit dem C so ist, hatte ich bereits an anderer Stelle erläutert.

Christliche Parteien

Und wie steht es mit den christlichen Parteien, also PBC, CM oder AUF? Denen müßte ich als Christ doch nahestehen, oder? Manches hört sich in der Tat gut an. Aber wenn die christlichen Parteien in die Parlamente kommen und dort etwas bewirken wollen, dann sollten sie sich als allererstes zu einer einzigen Partei zusammenschließen. Und konkrete Konzepte müßten her! Wahlplakate mit Bibelversen reichen nicht aus, um Politik zu machen. Kürzlich erzählte mir ein Journalist und Christ, er habe sich mehrfach in der PBC engagieren wollen, sei aber jedesmal eiskalt abgeblitzt, wenn er konkret und kritisch nach Konzepten gefragt habe. Die christlichen Parteien sind also auch keine Alternative, zumindest nicht zur Zeit.

Und Gott?

Die für mich wichtigste Frage bei der Enscheidung für oder gegen die Piratenpartei mag für manchen, der dies liest, überraschend sein. Es ist die Frage, wie Gott das sieht – genauer: wie er es für mich sieht. Ich frage ihn danach und ich bekomme Antworten. Das muß ich denjenigen Lesern, die keine Christen sind, ein bißchen erklären. Den Atheisten unter euch wird das quer heruntergehen und euch in eurer Meinung bestätigen, daß ich sowieso irgendwie schräg drauf bin. Vielleicht bekommt ihr aber auch eine Ahnung davon, daß euer Weltbild nicht nur schon deshalb die Realität korrekt und vollständig widerspiegelt, weil ihr das gern so haben wollt.

Mancher glaubt ja, Christsein bestünde aus einer Sammlung moralischer Regeln, die man einzuhalten habe. Daß das nicht stimmt, habe ich bereits in einem anderen Blogbeitrag erklärt. Christen glauben vielmehr, daß man zu Gott eine persönliche Beziehung haben kann und daß Gott mit seinen Leuten redet. Dieses Reden Gottes geschieht in der Regel nicht durch Visionen und Auditionen – zumindest ist das in unserem Kulturkreis selten. Vielmehr sind es oft kleine Begebenheiten im Alltag: ein Vers, den ich in der Bibel lesen, oder ein Satz, den ein anderer Christ mir sagt. Und ich spüre: Jetzt redet Gott zu mir! Ein Bibeltext ist dann nicht mehr bloß ein alter Text in einem bestimmten historischen Zusammenhang, sondern Gott spricht dadurch in meine Situation hinein. Der Text wird lebendig, wird für mich aktuell und hilft mir heute, eine Entscheidung zu treffen. Das funktioniert nicht mechanisch, das ist nicht machbar, und fromme Rituale nützen nichts. Das ist ein geistlicher Vorgang, der zu einer Zeit und auf eine Art und Weise geschieht, wie Gott es für richtig hält.

Nach dem Parteitag habe ich das erlebt, als ich in der Bibel die Stelle Johannes 17, 15 gelesen habe. Dort betet Jesus mit Blick auf seine Leute: »Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.« Und ich merke: Hier spricht Gott zu mir. Es sagt mir: »Die Welt – dazu gehört für dich auch die Piratenpartei. Zieh dich da nicht raus! Du hast da deinen Platz. Es ist gut, wenn du dabei bleibst. Ich werde mich schon darum kümmern, daß das eine gute Sache wird!«

In den folgenden Tagen habe ich weiter darüber nachgedacht und gebetet, um meine eigenen Gedanken von Gottes Gedanken unterscheiden zu können. Der starke Eindruck ist geblieben; ich bleibe also dabei.

Im Zwiespalt

Doch ich werde mit einem inneren Zwiespalt leben müssen. Mein Einsatz kann nicht mehr ungeteilt sein. Natürlich werde ich mich weiter für unsere Grundrechte einsetzen und mich für Themen wie JMStV, ACTA oder INDECT starkmachen. Positionen der Piratenpartei, die meinen inneren Überzeugungen zuwiderlaufen, kann ich aber am Infostand oder sonstwo nicht vertreten. Vielmehr habe ich vor, den innerparteilichen Dialog zu suchen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist ja etwas, was ich an der Piratenpartei richtig gutfinde: Ein solcher Dialog ist möglich! Nicht bei allen Parteien ist das der Fall. Meinungsvielfalt, wie sie einer demokratischen Partei angemessen ist: das finde ich gut! In diesem Zusammenhang ist auch der Blogbeitrag von Nineberry wichtig, der zur Meinungsvielfalt auffordert und unterschiedliche Strömungen begrüßt – Parteien innerhalb der Partei sozusagen.

Gegenüber anderen werde ich mein Engagement für die Piratenpartei auch mehr als zuvor begründen müssen. In meiner Gemeinde, der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) Dortmund, konnte ich bei der Landtagswahl eine ganze Reihe Wähler für die Piratenpartei mobilisieren. Das wird künftig anders sein. Man wird mein Engagement bei den Piraten wohl akzeptieren (müssen), aber selber Piratenpartei wählen? Wozu denn das? Für was von dem, was Christen wertvoll ist, steht die Piratenpartei denn ein? Die Idee von Parteien in einer Partei ist ja nicht unbedingt unmittelbar eingängig.

Aber gut. Eingetreten bin ich in die Piratenpartei, weil ich das Grundgesetz vor den etablierten Parteien schützen wollte. Jetzt bleibe ich dabei, um es auch vor der Piratenpartei zu schützen. Über Mitstreiter würde ich mich freuen.

Ich bleibe Querdenker statt Queerdenker.

Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht?

Das Grundgesetz schützen

Das Grundgesetz schützen – das war mir das wesentliche Anliegen, als ich im letzten Jahr in die Piratenpartei eingetreten bin und begonnen habe, mich politisch zu engagieren. Unerträglich waren die Eingriffe geworden, mit denen die etablierten Partei regelmäßig das Grundgesetz zu unterhöhlen suchten und fast ebenso regelmäßig vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen wurden.

Eine Partei, die sich dem Schutz der Grundrechte im allgemeinen und dem Schutz des Grundgesetzes im besonderen verschrieben hatte, die bei der Europawahl 2009 überraschende 0,9 Prozent geholt und bei der noch mehr gehen könnte? Da sollte sich politisches Engagement lohnen! Und in der Tat: Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Piratenpartei auf 2,0 Prozent der Zweitstimmen und ist damit aus dem Stand zur größten Kleinpartei geworden.

Familienpolitik modernisieren?

Und nun dies: Im innerparteilichen Demokratiewerkzeug »Liquid Feedback« stellten die Parteimitglieder »Arte Povera« und Torsten Jaehne die Initiative Familienpolitik modernisieren – Vielfalt von Lebensformen anerkennen vor, wo sie unter anderem fordern, den Schutz der Ehe in Art. 6 (1) GG abzuschaffen. »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung« schreibt das Grundgesetz dort fest.

Na gut, schließlich kann jeder auf Liquid Feedback beantragen, was er will, und bei gut 12.000 Parteimitgliedern finden sich immer ein paar mit verqueren Gedanken. Doch die beiden fanden für ihre Initiative tatsächlich genügend Unterstützer, so daß es schließlich zur Abstimmung kam, die die Initiative mit 371 Ja-Stimmen gegen 90 Nein-Stimmen bei 58 Enthaltungen gewann.

Nun hat dieses Ergebnis – wie alle Abstimmungen auf Liquid Feedback – keine Bedeutung für das offzielle Parteiprogramm. Das kann nur ein Bundesparteitag ändern. Man darf auch fragen, wie repräsentativ für die Parteimeinung die Abstimmung überhaupt ist, wenn von 12.000 Mitgliedern knapp 3.200 bei Liquid Feedback angemeldet sind und von diesen wiederum nur 519 überhaupt an der Abstimmung teilgenommen haben und insgesamt gerade mal 2,6 Prozent aller Mitglieder für die Initiative und für die Änderung des Grundgesetzes gestimmt haben. Dennoch halte ich es nicht für völlig ausgeschlossen, daß ein solcher Antrag auf einem Bundesparteitag eine Mehrheit fände.

Wohin, Piratenpartei?

Wie ist das zu bewerten? Meine eigene Position findet sich in den Blogbeiträgen von »Validom« und Frank Mazny wiedergegeben, so daß ich mir hier eine Wiederholung in eigenen Worten sparen kann:

Einen entgegengesetzten Standpunkt vertritt Aleks A. Lessmann:

Weitere Beiträge:

Von außen, von jemandem, der selbst kein Mitglied der Piratenpartei ist, stammt diese sehr gute Analyse:

Inzwischen (2010-09-24) hat es die Debatte auch in das Wiki der Piratenpartei geschafft. Die Seite »Grundgesetzdebatte« enthält weitere Verweise auf Beiträge und lädt zum Mitdiskutieren ein.

Diese Beiträge und die Kommentare der Leser zeigen, was zur Zeit zu Ehe, Familie, anderen Formen des Zusammenlebens, Grundgesetz und Grundgesetzänderung in der Piratenpartei abgeht. Vermutlich wird es in den nächsten Tagen weitere Beiträge geben. Die werde ich hier verlinken, soweit sie in mein Blickfeld geraten und neue Aspekte in die Debatte bringen. Auch sonst könnte dieser Beitrag die eine oder andere Aktualisierung erfahren.

Und ich selbst?

Schließlich die für mich persönlich wichtigste Frage: Wie würde ich reagieren, falls ein Bundesparteitag tatsächlich aus der Initiative Programm machen sollte? Könnte ich in einer solchen Partei bleiben? Einerseits wäre ein Austritt ein Zeichen, hier klar auf Distanz zu gehen. Andererseits habe ich in der Piratenpartei viele wertvolle Menschen kennengelernt, mit denen ich weiter gern verbunden sein möchte. Und mit denen ich gern weiter Politik machen möchte, besonders Kommunalpolitik in Dortmund.

Falls ich dabeibleiben sollte, müßte ich ständig mit diesem inneren Konflikt leben, für eine Partei einzustehen, die in zumindest diesem Punkt meinen Grundwerten diametral entgegensteht. Könnte ich das? Vielleicht geht es, wenn ich mit diesem Konflikt offen umgehe und immer deutlich mache, daß er besteht und ich hier niemals auf eine solche Parteilinie einschwenken werde. Ich hätte aber ganz gewiß erhebliche Probleme, meine Freunde aus dem christlichen Lager für die Piratenpartei zu begeistern und sie als Wähler zu halten oder gar neue hinzuzugewinnen. Der Zug wäre dann endgültig abgefahren.

Stand heute weiß ich noch nicht, wie ich mich entscheiden würde. Momentan handelt sich ja auch nur um Gedankenspiele. Die Frage steht gegenwärtig noch gar nicht an. Warten wir den Bundesparteitag in Chemnitz am 20. und 21. November in Chemnitz ab. Einstweilen werde ich weiter das Piraten-T-Shirt tragen, wenn ich mit dem Rennrad unterwegs bin und Reklame Werbung machen. Es bleibt spannend bei den Piraten!