Und sie haben es doch getan! Auf ihrem Bundesparteitag vor zwei Wochen, am 20. und 21. November in Chemnitz, beschloß die Piratenpartei familienpolitische Ziele, die sich mit meinen Werten als Christ überhaupt nicht decken. Ich hatte darüber bereits im Vorfeld des Parteitags gebloggt, siehe »Piraten schützen das Grundgesetz – oder doch nicht?«.
Gleich nach diesen Beschlüssen hatte ich getwittert, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei überdenken zu müssen. Das habe ich inzwischen getan. In diesem Beitrag möchte ich meine Gedanken schildern und meinen Entschluß erläutern.
Die Parteitagsbeschlüsse
Was der Parteitag im einzelnen beschlossen hat, kann man im Piratenwiki auf der Seite der Antragskommission nachlesen. Da sind durchaus eine Menge guter Dinge dabei! Ich will aus den vielen Punkten, die ich unterstütze, nur zwei Beispiele herausgreifen:
Aber da sind auch die Punkte, die aus meiner Sicht überhaupt nicht gehen oder mit denen ich zumindest heftige Bauchschmerzen habe:
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Viele Piraten verstehen darunter jedoch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Da sehe ich ganz erhebliche praktische Probleme. Beispielsweise hält nicht jeder die Begriffe Leistung und Leistungsfähigkeit sauber auseinander. Und ein ganz triviales Argument: Geld, das man ausgeben will, muß man zuvor eingenommen haben – es sei denn, man will mit der Verschuldungspolitik der jetzigen Regierung und ihrer diversen Vorgängerinnen weitermachen.
Aber gut. Da der Beschluß ausdrücklich keinen bestimmten Weg zum Ziel ideologisch festschreibt, bin ich durchaus bereit, mich mit konkreten Konzepten auseinanderzusetzen.
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Nur noch an den Kopf fassen kann ich mich aber angesichts der Forderung nach Abschaffung des § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten). So ein Schwachfug! Ich will das an dieser Stelle überhaupt nicht inhaltlich diskutieren. Aber, liebe Befürworter, laßt euch bitte nur mal die Frage gefallen, was dieser Beschluß wohl Außenstehenden signalisiert! Hat unser Land eigentlich keine dringenderen Probleme?
- Ja, und schließlich haben wir diese Grundsatzbeschlüsse zur Queer- und Familienpolitik. Hier die einzelnen Module zum Nachlesen:
Die Intention der Beschlüsse läßt sich bereits an Wortwahl und -stellung der Überschrift ablesen. Die lautet nicht etwa »Familienpolitik«, auch nicht »Familien- und Queerpolitik«, sondern »Queer- und Familienpolitik«. Diese Formulierung macht die Rangfolge klar. Es geht um Queerpolitik. Hier treibt eine rührige Gruppe von Piraten ihr Lieblingsthema voran. Und damit es mit der Zustimmung auf dem Parteitag auch bloß klappt, verquickt man seine Ideen noch mit ein paar gutklingenden Sätzen wie dem vom besonderen Schutz von Lebensgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder schwache Menschen versorgt werden. Ach ja, wer wollte auch Kindern oder Schwachen Schutz verweigern?
Den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung spricht das Grundgesetz in Artikel 6 (1) jedoch nicht allen und nicht irgendwelchen Lebensgemeinschaften zu, sondern dediziert Ehe und Familie. Diesen besonderen Schutz will der Bundesparteitag offenbar ausgehebelt wissen. Den Widerspruch zum Grundgesetzartikel 6 hat man leichter Hand ignoriert. Sofern ich im Livestream nichts verpaßt habe, gab es nicht einmal eine Diskussion über diesen Aspekt! Hat das denn niemand bemerkt? Was für ein Armutszeugnis für eine Partei, die doch das Grundgesetz auf ihre orangen Fahnen geschrieben hat! Aber kaum steht es dem eigene Wollen und Wünschen im Weg, schiebt man es einfach beiseite. Das kennen wir doch bisher nur von gewissen anderen Parteien!
Verlorene Werte
Ich war 2009 in die Piratenpartei eingetreten, weil sie für mich die einzige politische Kraft war, der das Grundgesetz wirklich am Herzen liegt. Ich habe eine große Übereinstimmung gesehen zwischen den Werten der Piraten und meinen eigenen. Heute, nach diesem Bundesparteitag, ist die Schnittmenge erheblich geschrumpft – ebenso wie mein Vertrauen in die Grundgesetztreue der Piratenpartei.
Um diesen Blogbeitrag nicht zu lang werden zu lassen, will ich die inhaltliche Diskussion zu Einzelpunkte an dieser Stelle gar nicht führen. Vielleicht finde ich später die Zeit, meine Argumentation zu dem einen oder anderen Punkt darzustellen. Mir geht es heute nur um die eine Frage: Kann ich selbst mich noch in der Piratenpartei wiederfinden oder kann ich das nicht?
Wäre ich in der gleichen Situation wie 2009, als es für mich darum ging, in die Piratenpartei einzutreten oder nicht, wäre die Antwort ein klares Nein. Ein Blick in das neue Parteiprogramm, ein Blick auf die Schnittmenge der Werte, und die Sache wäre entschieden: nicht der Mühe wert!
Eine Geschichte mit Menschen
Allerdings ist meine Lage heute anders als vor meinem Eintritt. Damals war die Piratenpartei für mich eine mehr oder weniger abstrakte, unbekannte Organisation. Ich kannte nicht mehr als ihre Ziele. Diese Ziele fand ich gut, und wegen dieser Ziele bin ich die Piratenpartei eingetreten.
Seitdem ist viel passiert. Ich bin nicht bloß Mitglied, sondern habe einen Weg zurückgelegt mit dieser Partei. Es eine Geschichte mit Menschen. Es sind Begegnungen mit Piraten und Interessenten auf Stammtischen, an Infoständen, auf Parteitagen, auf dem Bahnhof, auf Twitter, auf Mailinglisten – und sogar am Telefon. Es ist der gemeinsame Aufbau der Pressearbeit in Nordrhein-Westfalen, es sind Begegnungen mit Menschen während des Sammelns von Unterstützungsunterschriften im Kreis Herford für meine Landtagskandidatur, es ist die Arbeit an der Dortmunder Kreisverbandssatzung. Es die persönlichen Begegnungen bei diesen und anderen Aktivitäten.
Die letzten eineinhalb Jahre waren für mich eine hochinteressante und wertvolle Zeit. Ich habe viel erfahren und viel gelernt. Und vor allem sind es die Menschen, die diese Zeit so wertvoll gemacht haben: diese Piraten, die so unverblümt ehrlich sind, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Meinung sagen – und sich dafür einsetzen, daß jeder andere in Deutschland und in der Welt das auch tun kann, ohne um seine Freiheit, seine Gesundheit oder um sein Leben fürchten zu müssen.
Parteiintern habe ich das in dieser Weise erlebt. Das ging natürlich nicht ohne Auseinandersetzungen ab. Wir haben gestritten, über Positionen diskutiert und um Vorgehensweisen gerungen. Und abseits von der Parteiarbeit gab’s spannende Unterhaltungen über Glaubensthemen, gerade mit meinen atheistischen Freunden. Ob wir nun derselben Meinung waren oder uns nicht einigen konnten: Jeder war offen für die Argumente des anderen und ist sachlich geblieben – na ja, fast jeder.
Und? Wie geht’s nun weiter?
Nachdem ich getwittert hatte, meine Mitgliedschaft in der Piratenpartei zu überdenken, haben sich eine ganze Reihe Piraten bei mir gemeldet und mich ermutigt, dabeizubleiben. Dieter Klein schätzt meine »unaufgeregte Art, andere Sichtweisen in die Diskussion zu bringen«. Fabio Reinhardt hat mir einen offenen Brief geschrieben. Andere haben getwittert, gemailt oder mich persönlich angesprochen.
Das berührt mich sehr.
Ehrliche Piraten
Ich merke: Hier ist echtes Interesse – an mir als Person, nicht nur an dem, was ich für die Partei leisten kann. Die Leute sind offen, sich mit dem zu auseinanderzusetzen, was ich denke und was ich glaube, auch wenn nicht alles dem eigenen Weltbild entspricht. Einige haben mich sogar explizit dazu aufgefordert, meine Sichtweisen in die Diskussion einzubringen und sie innerhalb der Partei zu vertreten.
In der persönlichen Begegnung mit anderen Piraten spüre ich, daß hier keine Ideologen am Werke sind, sondern eine tiefe innere Überzeugung da ist, mit den Parteitagsbeschlüssen Menschen wirklich helfen zu können. Ich teile diese Positionen inhaltlich nicht, aber die Ernsthaftigkeit beeindruckt mich. Piraten sind ehrliche Leute. Sie schielen nicht nach dem, womit sie möglichst viele Wählerstimmen ködern können, sondern entscheiden nach dem, was ihnen am Herzen liegt. – Ob es klug ist, alles, was man denkt, in Beschlüsse zu gießen, ist eine andere Frage.
Das alles macht es mir schwer, die Piraten zu verlassen.
Ich kann ja auch mein politisches Engagement nicht einfach wieder an den Nagel hängen. Bei den sonstigen Parteien, den sogenannten etablierten, könnte ich mich aber auch nicht zu Hause fühlen. Warum das gerade bei der Partei mit dem C so ist, hatte ich bereits an anderer Stelle erläutert.
Christliche Parteien
Und wie steht es mit den christlichen Parteien, also PBC, CM oder AUF? Denen müßte ich als Christ doch nahestehen, oder? Manches hört sich in der Tat gut an. Aber wenn die christlichen Parteien in die Parlamente kommen und dort etwas bewirken wollen, dann sollten sie sich als allererstes zu einer einzigen Partei zusammenschließen. Und konkrete Konzepte müßten her! Wahlplakate mit Bibelversen reichen nicht aus, um Politik zu machen. Kürzlich erzählte mir ein Journalist und Christ, er habe sich mehrfach in der PBC engagieren wollen, sei aber jedesmal eiskalt abgeblitzt, wenn er konkret und kritisch nach Konzepten gefragt habe. Die christlichen Parteien sind also auch keine Alternative, zumindest nicht zur Zeit.
Und Gott?
Die für mich wichtigste Frage bei der Enscheidung für oder gegen die Piratenpartei mag für manchen, der dies liest, überraschend sein. Es ist die Frage, wie Gott das sieht – genauer: wie er es für mich sieht. Ich frage ihn danach und ich bekomme Antworten. Das muß ich denjenigen Lesern, die keine Christen sind, ein bißchen erklären. Den Atheisten unter euch wird das quer heruntergehen und euch in eurer Meinung bestätigen, daß ich sowieso irgendwie schräg drauf bin. Vielleicht bekommt ihr aber auch eine Ahnung davon, daß euer Weltbild nicht nur schon deshalb die Realität korrekt und vollständig widerspiegelt, weil ihr das gern so haben wollt.
Mancher glaubt ja, Christsein bestünde aus einer Sammlung moralischer Regeln, die man einzuhalten habe. Daß das nicht stimmt, habe ich bereits in einem anderen Blogbeitrag erklärt. Christen glauben vielmehr, daß man zu Gott eine persönliche Beziehung haben kann und daß Gott mit seinen Leuten redet. Dieses Reden Gottes geschieht in der Regel nicht durch Visionen und Auditionen – zumindest ist das in unserem Kulturkreis selten. Vielmehr sind es oft kleine Begebenheiten im Alltag: ein Vers, den ich in der Bibel lesen, oder ein Satz, den ein anderer Christ mir sagt. Und ich spüre: Jetzt redet Gott zu mir! Ein Bibeltext ist dann nicht mehr bloß ein alter Text in einem bestimmten historischen Zusammenhang, sondern Gott spricht dadurch in meine Situation hinein. Der Text wird lebendig, wird für mich aktuell und hilft mir heute, eine Entscheidung zu treffen. Das funktioniert nicht mechanisch, das ist nicht machbar, und fromme Rituale nützen nichts. Das ist ein geistlicher Vorgang, der zu einer Zeit und auf eine Art und Weise geschieht, wie Gott es für richtig hält.
Nach dem Parteitag habe ich das erlebt, als ich in der Bibel die Stelle Johannes 17, 15 gelesen habe. Dort betet Jesus mit Blick auf seine Leute: »Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.« Und ich merke: Hier spricht Gott zu mir. Es sagt mir: »Die Welt – dazu gehört für dich auch die Piratenpartei. Zieh dich da nicht raus! Du hast da deinen Platz. Es ist gut, wenn du dabei bleibst. Ich werde mich schon darum kümmern, daß das eine gute Sache wird!«
In den folgenden Tagen habe ich weiter darüber nachgedacht und gebetet, um meine eigenen Gedanken von Gottes Gedanken unterscheiden zu können. Der starke Eindruck ist geblieben; ich bleibe also dabei.
Im Zwiespalt
Doch ich werde mit einem inneren Zwiespalt leben müssen. Mein Einsatz kann nicht mehr ungeteilt sein. Natürlich werde ich mich weiter für unsere Grundrechte einsetzen und mich für Themen wie JMStV, ACTA oder INDECT starkmachen. Positionen der Piratenpartei, die meinen inneren Überzeugungen zuwiderlaufen, kann ich aber am Infostand oder sonstwo nicht vertreten. Vielmehr habe ich vor, den innerparteilichen Dialog zu suchen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das ist ja etwas, was ich an der Piratenpartei richtig gutfinde: Ein solcher Dialog ist möglich! Nicht bei allen Parteien ist das der Fall. Meinungsvielfalt, wie sie einer demokratischen Partei angemessen ist: das finde ich gut! In diesem Zusammenhang ist auch der Blogbeitrag von Nineberry wichtig, der zur Meinungsvielfalt auffordert und unterschiedliche Strömungen begrüßt – Parteien innerhalb der Partei sozusagen.
Gegenüber anderen werde ich mein Engagement für die Piratenpartei auch mehr als zuvor begründen müssen. In meiner Gemeinde, der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) Dortmund, konnte ich bei der Landtagswahl eine ganze Reihe Wähler für die Piratenpartei mobilisieren. Das wird künftig anders sein. Man wird mein Engagement bei den Piraten wohl akzeptieren (müssen), aber selber Piratenpartei wählen? Wozu denn das? Für was von dem, was Christen wertvoll ist, steht die Piratenpartei denn ein? Die Idee von Parteien in einer Partei ist ja nicht unbedingt unmittelbar eingängig.
Aber gut. Eingetreten bin ich in die Piratenpartei, weil ich das Grundgesetz vor den etablierten Parteien schützen wollte. Jetzt bleibe ich dabei, um es auch vor der Piratenpartei zu schützen. Über Mitstreiter würde ich mich freuen.
Ich bleibe Querdenker statt Queerdenker.