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Wahlnachlese: langfristig denken und die Herzen erreichen

So, von mir etwas verspätet auch noch eine Nachlese zur Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen. Aus Piratensicht ist ja schon einiges dazu geschrieben worden. Das will ich nicht aufwärmen, sondern mich auf wenige Aspekte beschränken.

Stimmenverluste

Die Piratenpartei ist weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Nachdem sie bei der Bundestagswahl in NRW noch 1,67 Prozent der Zweitstimmen holen konnte, reichte es bei der Landtagswahl nur für 1,52 Prozent. Guckt man nicht auf die Prozente, sondern auf die absoluten Zahlen, sieht das Bild noch dramatischer aus: 119.581 Wähler wählten Piraten gegenüber 158.585 bei der Bundestagswahl. Ein Verlust von 39.004 Stimmen oder knapp einem Viertel der Wähler.

Gut, die geringe Wahlbeteiligung spielt eine Rolle. Ich hatte aber eigentlich angenommen, Piratenwähler seien wahlmotivierter als andere. Gut, viele haben taktisch SPD, Grüne oder gar die Linke gewählt, um Schwarz-Gelb zu verhindern. Das kann man daran erkennen, daß die Piratenpartei in vielen Wahlkreisen mehr Erst- als Zweitstimmen bekam. Meine Meinung: taktisch wählen ist wie taktisch heiraten. Es erfüllt seinen Zweck, aber es macht nicht glücklich.

Werbung wirkt langfristig

Die Piratenpartei ist immer noch weitgehend unbekannt, zumindest auf dem Land. Das habe ich beim Unterschriftensammeln für meine Direktkandidatur im Wahlkreis Herford II deutlich gemerkt. Nicht wenige hatten noch nie etwas von der Piratenpartei gehört. Werbung muß daher vor allem den Namen »Piraten« bzw. »Piratenpartei« ins Spiel bringen und in den Köpfen verankern.

Dafür haben wir uns eingesetzt mit Plakaten, Flyern, Infoständen und Aktionen. Dafür haben wir Zeit, Kraft und Geld in diesen Wahlkampf gesteckt. Und nun fragt sich mancher durch das Wahlergebnis gefrustete Pirat, ob sich dieser Aufwand überhaupt gelohnt hat. Ich meine: ja, er hat.

  1. Wo wären wir wohl, wenn wir keinen Wahlkampf gemacht hätten?
  2. Der Aufwand hat sich gelohnt – nur nicht unbedingt für diese Landtagswahl.

Werbung wirkt langfristig, jedenfalls sollte sie das. Wer im April einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen und erstmals von den Piraten gehört hat, wird im Mai nicht gleich sein Kreuz an der von uns gewünschte Stelle machen. Aber wenn die Piraten künftig wieder etwas von sich hören lassen, wir er einen Tick aufmerksamer sein. Wir legen heute die Grundlage für übermorgen. Damit das klappt, müssen wir uns regelmäßig Gehör verschaffen. Mit einer einmaligen Aktion zur Wahl ist es nicht getan.

Presse

Präsenz in der Presse ist wichtig, aber leider können aber weder die AG Presse NRW noch die lokalen Pressepiraten zaubern. Klar, wir geben Pressemitteilungen mit irgendwelchen Meinungen zu irgendwelchen Themen heraus. Die Erfahrung lehrt aber, daß die Meinungen einer 1,5-Prozent-Partei nicht wirklich zählen. Erheblich bessere Chancen auf Veröffentlichung haben Ankündigungen oder Berichte dessen, was wir tun oder welche Personen wir in irgendwelche Ämter wählen. Wer sich dafür näher interessiert, sollte den Wikipedia-Artikel zum Thema Nachrichtenwert lesen.

Einige Piraten wollen wohl auch nach der Wahl monatliche Infostände durchführen. Das ist eine gute Idee! Aber man braucht natürlich die entsprechende Man-, äh, Piratepower und vor allem Durchhaltevermögen. Sind alle motiviert, sich Monat für Monat auf die Straße zu stellen? Wie weit reicht die Motivation? Vielleicht ist es realistischer, erstmal einen vierteljährlichen Stand zu planen. Die Schlagzahl erhöhen kann man ja immer noch.

In unterpiratisierten Gegenden wie dem Kreis Herford wird auch das nicht gehen. Da war es nicht mal zur Landtagswahl möglich, einen nennenswerten Straßenwahlkampf zu führen. Dafür ist die Pressearbeit auf dem Land sehr viel leichter als in der Stadt. Dort sind die Lokalredaktionen dankbar für alles, was sie kriegen können. In der Großstadt in die Konkurrenz groß und jede Piratenmeldung buhlt mit tausend anderen um die Aufmerksamkeit der Redakteure. Jedenfalls bin ich mit der lokalen Berichterstattung in Herford II sehr zufrieden. Das hat gut geklappt, obwohl ich als Dortmunder kaum persönlich vor Ort sein konnte.

Plakate

Unsere Plakate fand ich suboptimal. Das erste ist mir in Köln begegnet, als ich mit meinem Faltrad daran vorbeifuhr. Die groß gedruckte Frage konnte ich gut lesen, die darunterstehende Antwort schon nicht mehr. Die war zu klein und ich dann schon vorbei. Überhaupt nicht zu sehen war das wichtigste: der Name der Partei – viel zu klein und zu unauffällig. Fußgänger, die vor einem Plakat stehenblieben und es gründlich lasen, fanden sich darin aber auch nicht zwangsläufig wieder. Den meisten Menschen brennen andere Fragen unter den Nägeln als »Dürfen Politiker Medien beeinflussen?«

Christian Gebel hat ein alternatives Plakat entwickelt, das viel besser funktioniert. Es ist zwar längst nicht so intelligent wie die vorgenannten, aber es ist genau so, wie ein Plakat sein sollte: plakativ.

Flyer

Für meinen Geschmack hatten zu viel verschiedene Flyer. Ich arbeite gern mit einem einzigen Flyer, der die wesentlichen Punkte enthält, den ich sehr gut kenne und den ich im Gespräch daher gut erklären kann. Den Flyer mit der Wahlprogrammkurzfassung finde ich prima. Noch schöner wäre gewesen, wenn er auch unsere Kernziele enthalten hätte. Aber die sind über der Euphorie über die neuen NRW-Themen wohl irgendwo außen vor geblieben.

Mit den Themenflyern kann ich nicht so viel anfangen. Ich trage nicht gern einen Bauchladen von Spezialflyern mit mir herum, nur damit ich möglicherweise den einen oder anderen weitergeben kann, falls jemand danach fragen sollte. Am Infostand war das auch nicht sehr viel anders.

Die Herzen erreichen

Piratenwahlkampf läuft über Intellekt und Logik, nicht über Herz und Bauch. Für die meisten Piraten ist das auch gut und richtig, denn es entspricht ihrer Wesensart – meiner auch. Nur werden wir allein damit nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Denn die meisten Menschen ticken anders. Menschen sind nicht logisch.

Wir müssen es schaffen, die Menschen auch emotional abzuholen. Mit einem rein intellektuellen Wahlkampf erreichen wir nur eine kleine Minderheit. Politische Spezialthemen (»eine Landesbank für den Ministerpräsidenten«) interessieren die Menschen nicht. Selbst allgemeine politische Themen sind für viele uninteressant. Die Mitmachpartei ist ein prima Konzept, aber es will halt nicht jeder mitmachen. Politik und Piratenpartei müssen nicht nur intelligent sein, sondern sich auch gut anfühlen und Spaß machen. Das begeistert! Ein Indiz dafür: Mein Aufruf zum Wahl-Flashmob hatte erheblich höhere Abrufzahlen als ernstgemeinte Artikel wie dieser.

Ich will Sachargumente, Spezialthemen und Mitmachpartei überhaupt nicht kleinreden oder abqualifizieren. Diese Dinge sind notwendig und wichtig. Aber sie reichen nicht aus. Laßt uns die Menschen auch auf der Gefühlsebene ansprechen, damit wir wirklich viele erreichen! Bleiben wir nicht in unserer intellektuellen Nische stecken, die uns höchstens marginalen und indirekten politischen Einfluß bringt!

Was können wir konkret tun? Einige Vorschläge:

  • Veranstaltungen zum Thema Computer und Internet (speziell für Einsteiger und Senioren) z.B. in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen
  • Praktische Hilfe im sozialen Bereich anbieten
  • In der Kommunalpolitik mitarbeiten. Das geht nicht nur über Ratssitze. Die guten Wahlergebnisse in Aachen und Bonn zeigen, was möglich ist.

Bestimmt haben die Kreativen unter euch noch viel mehr Ideen! Laßt sie mich wissen, dann erweitere ich die Liste.

Wenn wir im Leben der Menschen vorkommen, wenn die Menschen mit »Piratenpartei« konkrete Personen verbinden, die sie kennen und schätzen, ist viel erreicht. Damit können wir sogar Nichtwähler ansprechen, die sich noch nie für Politik interessiert oder sich irgendwann frustriert abgewandt haben. Ein gewaltiges Potential! Persönliche Beziehungen sind wichtig. Darüber kann Interese an Politik entstehen. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich, sondern ist eine langfristige Geschichte.

(Übrigens kenne ich das ganz ähnlich aus meiner Gemeinde. Da kommen Menschen in der Regel auch nicht »einfach so« zum Gottesdienst, weil sie ein spontanes Interesse am Glauben überfällt. Sondern jemand lernt ein Gemeindemitglied kennen, und fängt an, sich für das zu interessieren, was dem anderen wichtig ist. Das Interesse entsteht also nicht aus der Sache heraus, sondern wird vermittelt durch eine glaubwürdige Person. Dann läßt man sich gern auch mal zum Gottesdienst einladen – und sich womöglich von und für Jesus begeistern.)

Update zum Thema Nichtwähler (2010-05-13):

Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2010: Zweitstimmen und Nichtwähler Die nebenstehende Grafik zeigt, wie erschreckend hoch der Anteil der Nichtwähler ist (grau). Ebenfalls gut zu sehen ist, daß auch die sogenannten großen Parteien jeweils nur gut ein Fünftel der Wahlberechtigten hinter sich bringen konnten. Jedenfalls macht die Grafik klar, in welchem Bereich wir Piraten – aber auch andere Parteien – das größte Potential für weitere Wähler finden: Es sind diejenigen, die sich aus der Teilhabe am demokratischen Prozeß verabschiedet haben.

Wer warum nicht wählt und wie man das ändern kann, ist weitgehend unerforscht. Aber ein paar Fakten kennt man doch. So besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Armut einerseits und dem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben andererseits. Mehr dazu kann man in einem Beitrag des Deutschlandfunks nachlesen bzw. -hören: Die Partei der Nichtwähler – Unbekannte Macht oder schweigende Mehrheit. Lesenswert!

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Pirat auf Beutezug – Unterstützungsunterschriften sammeln in Kirchlengern

Nachdem die Mitglieder der Piratenpartei des Kreises Herford Hannes Gesmann und mich zu Direktkandidaten für die Wahlkreise Herford I und Herford II nominiert hatten, war ich heute in meinem Heimatort Kirchlengern unterwegs, um Unterstützungsunterschriften zu sammeln. Schließlich reicht es nicht, von der Partei als Direktkandidat ausgerufen zu werden, man muß in seinem Wahlkreis auch 100 Unterschriften von Wahlberechtigten einheimsen. Für mich als Dortmunder ist das nicht ganz einfach, da ich nicht im Wahlkreis wohne und nicht nach Feierabend mal eben noch ein Stündchen Unterschriften sammeln kann. Da gehört eine Zugfahrt von fast zwei Stunden dazu und nach erfolgter Sammelei dasselbe zurück in die Heimat.

Jedenfalls bin ich am heutigen Samstag gegen 11 Uhr beim »Stützpunkt Eltern« angekommen und konnte direkt 14 Unterschriften in Empfang nehmen, die meine Leute selbst geleistet oder gesammelt hatten. Dann ging es auf die Tour von Haus zu Haus, zum Teil mit meinem Vater, zum größten Teil allein. So ließ sich die Zahl 14 im Lauf des Tages auf 68 steigern. 14 Formblätter sind noch unterwegs, bei denen ich mit einem Rücklauf von mindestens 50 Prozent rechne. Damit haben wir eine prima Ausgangsbasis für die restlichen 25 Unterschriften. Oder besser: für die restlichen 45, denn wir sollten einen Puffer für irgendwelche nichtbestätigten Unterschriften haben.

Das Sammeln von Haus zu Haus funktioniert im Prinzip ganz gut. Trotzdem braucht es seine Zeit, denn ich habe an vielen Stellen niemanden angetroffen. Es kostet Zeit, immer wieder eine Weile vergeblich vor der Tür zu stehen und zu warten. Dort, wo die Leute zu Hause waren, haben über den Daumen gepeilt etwa 40 Prozent unterschrieben.

Von Einzelfällen gibt es zu berichten: Da ist der Mann, der noch nie etwas von der Piratenpartei gehört hat und wissen will, wofür wir stehen. Ich präsentiere die Kurzfassung und nenne Bürgerrechte und Datenschutz. Da bin ich aber an den Falschen geraten! »Ich bin Polizeibeamter«, meint er, »und Datenschutz ist ja wohl das Allerletzte!« Auch mein Hinweis auf seinen Kollegen auf unserer Landesliste überzeugt ihn nicht. Tja, leider keine Unterschrift!

Oder ein anderer Mann, der nicht unterschreiben will. »Und ich sage Ihnen auch, warum. Der Grund besteht aus drei Buchstaben, und der erste ist ein S.« Ich: »Ja, aber ein wahrer Demokrat setzt sich dafür ein, daß auch andere Parteien eine Chance bekommen, obwohl er sie selbst nicht wählt.« Das überzeugt. Unterschrift bekommen!

Mich freuen

  • die alten Menschen, die mich in ihr Wohnzimmer gebeten haben,
  • die jungen Leute, die gern unterschrieben haben,
  • der Mann, der mich im ERF gehört hatte,
  • der junge Mann, der es toll findet, daß die Piraten endlich auch in Kirchlengern antreten,
  • der alte Mann, der an der Tür sehr skeptisch guckt, mich aber ins Haus holt, als er etwas von Grundrechten hört,
  • die junge Frau, die ich von früher kenne, die aber dennoch nicht sofort unterschreibt, sondern sich erst genauer informieren will. Gut, daß ich noch einen Restposten Flyer vom Bundestagswahlkampf habe!

Geholfen haben die Zeitungsartikel, die ein paar Tage vorher in den beiden Lokalblättern erschienen sind. Mancher hat mich vom Foto her wiedererkannt und war dadurch deutlich aufgeschlossener, auch wenn das noch lange keine Garantie für eine Unterschrift ist.

Geholfen haben persönliche Kontakte, sowohl direkte wie indirekte. Die Mutter eines CDU-Mannes unterschreibt nur, »weil ich Ihre Mutter schätze.« Jemand, den ich gar nicht kenne, schickt gerade einen Spendenwerber weg, als ich komme. Mich hingegen begrüßt er mit Namen und bittet mich sofort herein, »weil ich mit Ihrem Vater im Presbyterium zusammengearbeitet habe.«

Insgesamt war die Aktion eine gute Sache und zwar nicht nur wegen der 68 Unterschriften. Denn auch bei denjenigen, die nicht unterschreiben wollten, ist etwas passiert: Sie haben den Namen »Piratenpartei« gehört und gemerkt, daß es uns gibt. Im Wahlkampf werden sie bewußt oder unbewußt eine Spur besser auf die Piratenpartei achten. Das nützt selbst dann, wenn sie bei der Landtagswahl nicht die Piratenpartei wählen. Denn das, was wir heute aussähen, ist nur ein winziger Same. Ein Same, der gesät ist, geht nicht sofort auf. Ein Sprößling ist nicht sofort groß. Ein Baum trägt nicht sofort Früchte. Das braucht alles seine Zeit. Aber die Zeit arbeitet für uns, und irgendwann gibt es Früchte zu ernten.

Aber erstmal gilt es, die restlichen Unterschriften einzuheimsen! Am Mittwoch bin ich wieder in Kirchlengern.

Aktualisierung (Neudeutsch: Update) vom 2010-03-17:

Heute habe ich die restlichen Unterschriften gesammelt, allerdings nicht, wie zunächst geplant, in Kirchlengern, sondern in Bünde. Dort wollte ich an meiner alten Schule, dem Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, volljährige Oberstufenschüler abfangen. Das ging voll daneben. Zwar kamen nach Schulschluß reichlich Schüler aus dem Gebäude, wahlberechtigte waren aber nicht dabei oder konnten mir erfolgreich ausweichen. Also machte ich mit der bewährten Haus-zu-Haus-Methode weiter und konnte im Lauf einiger Stunden 35 Unterschriften sammeln. Insgesamt habe ich jetzt 118 Unterschriften, was auch bei ein paar Ungültigen für die Kandidatur reichen sollte.

Zum Schluss noch zwei Begegnungen aus der Rubrik »Geschichten, die das Leben schrieb«: Nichtsahnend klingelte ich an einer Tür und stellte mich vor. Der ältere Herr begrüßte mich sehr herzlich und wußte sofort, wer ich bin. Und er? Er war vor 40 Jahren mein Klassenlehrer in der Grundschule und konnte sich sogar noch daran erinnern, auf welchem Platz ich in der Klasse gesessen hatte! Seine Frau und er baten mich ins Haus, ich bekam eine Tasse Kaffee, ein Täfelchen Schokolade als Wegzehrung – und zwei Unterschriften.

Zwei Häuser weiter ein Gespräch mit einer alten Dame, die noch nie etwas von der Piratenpartei gehört hatte, sich aber geistig hellwach zeigte und sehr interessiert ist an dem, was die Piraten wollen. Leider sind die NRW-Flyer noch nicht fertig, aber ich konnte ihr immerhin einen alten Flyer aus dem Bundestagswahlkampf 2009 geben. Sie sah ihn sich aufmerksam an. Unterschreiben mochte sie dann doch nicht, aber es könnte sein, daß ich eine Wählerin gewonnen habe.