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Verbrennen statt verbuddeln – der Atommüll-Antrag der Nuklearia

Nuklearia-LogoZwei Anträge hat die Nuklearia an den Bundesparteitag der Piratenpartei gestellt, der Ende November in Bochum stattfindet. Einer der beiden befaßt sich mit dem Thema Atommüll-Entsorgung. Worum geht es da genau?

Eins ist ja bei allem pro und contra Kernenergie unbestritten: Durch den Betrieb der Leichtwasserreaktoren hat sich eine Menge Atommüll angesammelt. Und wenn ich hier von »Atommüll« rede, dann meine ich die hochradioaktiven, langlebigen Abfälle aus abgebrannten Brennelementen. Diese Abfälle machen 98 Prozent der Radiotoxizität aller radioaktiven Abfälle aus. Sie verschwinden nicht, wenn das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz geht. Wir müssen uns also aktiv um eine Lösung kümmern. Das macht der Nuklearia-Antrag.

Was will der Nuklearia-Antrag?

Unser Antrag stellt den Piraten die drei verschiedenen, international diskutierten Möglichkeiten vor, Atommüll zu entsorgen. Die Piraten mögen dann entscheiden, welche Variante (oder welche Varianten) sie bevorzugen beziehungsweise in welcher Variante sie das kleinere Übel sehen.

  1. Modul A: Direkte Endlagerung ist das, was das in Deutschland derzeit geltende Atomrecht für radioaktive Abfälle vorsieht. Der Substanzmix aus den genutzten Brennelementen braucht rund 300.000 Jahre , um auf das Radiotoxizitätsniveau von natürlich vorkommendem Uranerz abzuklingen.
  2. Modul B: Plutonium-Wiederaufarbeitung wird in einigen Ländern praktiziert. Dabei wird das Plutonium aus den abgebrannten Brennelementen für die Herstellung neuer Brennelemente verwendet (PUREX-Verfahren). Das kann man allerdings nicht beliebig oft machen, so daß der Rest dann doch endgelagert werden muß. Insgesamt ergibt sich eine Verminderung der Radiotoxizität um 10 Prozent. In Deutschland ist die Wiederaufarbeitung verboten.
  3.  Modul C: Transmutation wandelt die langlebigen Substanzen in kurzlebige um. Das geschieht in sogenannten Schnellen Reaktoren. Durch die Transmutation geht die Radiotoxizität dramatisch zurück: Das Niveau von Uranerz wird bereits nach 300 Jahren erreicht. Nach weiteren 500 Jahren ist die Radiotoxizität auf 0,01 Promille des Ausgangswertes gefallen. – Außerdem setzt die Transmutation große Mengen Energie frei, die Deutschland jahrhundertelang klimafreundlich mit Strom versorgen könnte. Kein Wunder, enthalten die »abgebrannten« Brennelemente noch gut 96 Prozent ihrer Energie!

Die Teilnehmer des Parteitages können für keines, eines oder mehrere dieser Module stimmen. Mit einer Mehrheit für ein bestimmtes Modul bringt die Piratenpartei zum Ausdruck: Diese Richtung wollen wir bevorzugt verfolgen, beispielsweise durch Forschungsförderung. Eine Priorisierung der Forschungsziele ist wichtig, weil wir jeden Euro nur einmal ausgeben können. Geld, das wir in die Entforschung und Weiterentwicklung der Endlagerung stecken, steht zur Transmutationforschung nicht mehr zur Verfügung – und umgekehrt. – Eins ist jedoch klar: Eine Präferenz für die eine Richtung schließt das Nachdenken, Diskutieren und Forschen in anderen Richtung keineswegs aus.

In welcher Richtung sieht die Piratenpartei denn die besten Erfolgschancen? Das wollen wir mit Hilfe unseres Antrags herausfinden. Die Präferenz der Nuklearia ist klar: Wir plädieren für Transmutation (Modul C)! Wir meinen: Nur so läßt sich das Übel an der Wurzel packen. Und das Beste daran: Das alles ist kein Hirngespinst, das sich irgendwelche abgefahrenen Physiker im Elfenbeinturm ausgedacht haben. Das Verfahren wurde und wird gründlich erforscht und praktisch umgesetzt. Wer mehr darüber wissen will,  sollte sich zum Beispiel die Infos der Nuklearia zum Integral Fast Reactor anschauen und den Links dort folgen.

Einwände

Natürlich gibt es Einwände gegen unseren Antrag:

»Einem Antrag, der von der Nuklearia kommt, werde ich niemals zustimmen!«

Das ist ja mal ein überaus großartiger Grund, der uns der Lösung des Atommüllproblems ganz bestimmt näher bringt!

»Ich will kein Endlager, keine Wiederaufarbeitung und keine Transmutation.«

Klar, es ist dein gutes Recht, keinem der drei Module deine Stimme zu geben. Du mußt dich allerdings fragen lassen: Was willst du denn dann? Wie sieht deine Alternative aus? Was ist dein Lösungsvorschlag? Bloß dagegen zu sein, löst das Problem ja nicht.

Wenn dir keine der Alternativen richtig gut gefällt, kannst du ja immerhin überlegen, was für dich das kleinste Übel ist. Wenn du für diese Variante stimmst, verhinderst du die beiden anderen, die du ja schlimmer findest.

Übrigens: Wer für gar kein Modul stimmt, stimmt damit implizit für Modul A. Denn die direkte Endlagerung ist ja bereits Gesetz. Ablehnung aller Module heißt: Ich sehe keinen Bedarf, irgendetwas zu ändern. Mit der Endlagerung bin ich einverstanden.  Wenn du das wirklich okay findest, dann stimme halt für nichts oder für Modul A.  Wenn du aber etwas ändern möchtest, dann stimme für Modul B (empfehlen wir nicht) oder Modul C (das empfehlen wir).

»Kann man das Zeug nicht rückholbar zwischenlagern, bis irgendwann in der Zukunft eine Lösung gefunden wird?«

Ja, kann man. Und das ist auch gar keine schlechte Idee, zumindest für einige Zeit. Der Antrag »Verantwortungsvoller Umgang mit radioaktivem Material und Atommüll« (PA 208) der Antiatompiraten scheint ja in diese Richtung zu gehen, auch wenn dort der Schwerpunkt eher auf schwach- und mittelaktiven Abfällen liegt.

Wir haben eine solche langfristige Zwischenlagerung aber nicht als Modul D in unseren Antrag aufgenommen, weil es eben nur eine Zwischenlösung ist und keine endgültige. Zwischenlagern ist ja das, was wir zur Zeit machen, denn wir haben kein Endlager, wir haben keine Wiederaufarbeitung, und wir haben keine Schnellen Reaktoren oder subkritischen Transmutationsanlagen.

Allerdings können wir die hochaktiven Abfälle nicht für alle Zeiten zwischenlagern. Neben den Kosten spricht ein physikalisches Argument dagegen: Durch die radioaktiven Zerfallsprozesse steigt der Anteil des spaltbaren Materials mit der Zeit an und macht die Abfälle attraktiv für Bombenbauer. Das spaltbare Plutonium-239 in den abgebrannten Brennelementen ist anfangs mit soviel nichtspaltbarem Plutonium-240 versetzt, daß es insgesamt nicht waffenfähig ist. Das Plutonium-240 zerfällt aber aufgrund seiner kürzeren Halbwertszeit schneller als das Plutonium-239, dessen Konzentration steigt an, und das Plutonium insgesamt wird immer waffenfähiger.

Ein Langzeitzwischenlager, das zur Plutonium-Mine mutiert und aus dem man sich als Staat oder als Terrorist einfach bedienen kann, ist vielleicht doch nicht so prickelnd. Da hätte ein Endlager ohne Rückholoption doch gewisse Vorteile. Denn wenn der Bombenbauer nicht an das Material herankommt, wenn er womöglich nicht einmal weiß, wo es zu finden ist, erschwert das seine Arbeit beträchtlich.

Noch besser wäre es natürlich, das Plutonium von vornherein zu vernichten, denn dann wäre man es endgültig los – siehe Modul C.

»Transmutation erscheint mir fragwürdig. Ich warte lieber auf eine Lösung, die in der Zukunft gefunden wird.«

Auch in fernster Zukunft wird es nur zwei Möglichkeiten geben, mit den langlebigen Stoffen umzugehen:

  • Man läßt sie heil und verwahrt sie sicher für eine sehr, sehr lange Zeit.
  • Man macht sie kaputt und verwahrt die Bruchstücke (Spaltprodukte) für eine vergleichsweise kurze Zeit.

Weitere Möglichkeiten kann es prinzipbedingt nicht geben. Jede wie auch immer geartete Lösung wird die langlebigen Substanzen entweder intakt lassen oder spalten. Innerhalb dieser beiden Lösungsräume kann es unterschiedliche konkrete Lösungen geben: immer bessere, immer sicherere Endlagerungsverfahren oder immer bessere, immer sicherere Schnelle Reaktoren.

Dummerweise fallen kluge Endlagerungsverfahren und pfiffige Reaktorkonzepte nicht vom Himmel. Sie sind Ergebnis harter Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Durch Nichtstun und Abwarten kommen wir nicht weiter. Deshalb müssen wir Geld in die Hand nehmen und in die Forschung investieren. Wir müssen jungen Nuklearwissenschaftlern und Ingenieuren Perspektiven, Projekte und Positionen bieten – und zwar in Deutschland! Und das müssen wir heute tun und nicht irgendwann später!

Wir müssen uns entscheiden, in welche Richtung unsere Forschung laufen soll. Stecken wir das gesamte Budget in die Endlagerforschung? Stecken wir alles in Transmutationsforschung? Fördern wir beides parallel, aber dann zwangsläufig nur halbherzig und mit halbem Budget? Das ist eine politische Entscheidung, die wir gesamtgesellschaftlich treffen müssen. Die Nuklearia lehnt den Lösungsraum Endlagerung ab und plädiert für die Transmutation. Hier sollten wir die bereits vorhandenen Erkenntnisse und Verfahren praktisch anwenden, Erfahrungen gewinnen und darauf aufbauend weitere Lösungen entwickeln!

»Ich halte Transmutation für keine gute Lösung, denn dafür müßte man ja wieder Reaktoren bauen.«

Ja, das stimmt. Das ist die Alternative: Atommüll für 300.000 Jahre sicher verwahren oder neue Reaktoren bauen, um damit das Zeug zu spalten und Energie zu gewinnen.

Aber was für Reaktoren sind das? Es sind völlig andere als die heutigen Leichtwasserreaktoren. Die wesentlichen Eigenschaften in puncto Sicherheit:

  • Flüssigmetallgekühlte Schnelle Reaktoren arbeiten unter Normaldruck und nicht unter dem gewaltigen Überdruck eines Leichtwasserreaktors. Bei einer Beschädigung kommt es nicht zu einer Dampfexplosion, die das Reaktor-Containment hoffentlich auffängt, sondern es läuft lediglich etwas flüssiges Blei oder Natrium aus. Da aber kein Überdruck besteht, beschränkt sich der Schaden auf die Anlage, und der Reaktor behält sein Kühlmittel.
  • Moderne Reaktoren sind inhärent sicher. Das bedeutet, die Sicherheit hängt nicht von entsprechenden Sicherheitseinrichtungen und Notfallverfahren ab, sondern basiert ausschließlich auf den Naturgesetzen. Die haben den Vorteil, nicht auszufallen. Die Anlage wird „walk-away safe“. Das bedeutet: Selbst wenn es zu einem totalen Stromausfall kommt und kein Personal mehr vorhanden ist, bleibt der Reaktor dennoch in einem sicheren Zustand. Das hat man 1986 am Experimental Breeder Reactor II getestet, indem man dem Reaktor unter Vollast die Kühlung abgeschaltet hat.
  • Der Integral Fast Reactor verfügt über eine mit dem Reaktor integrierte Wiederaufarbeitungsanlage. Der Kernbrennstoff muß nicht durch die Gegend gefahren werden, sondern bleibt stets dort, wo er hingehört: in der Anlage.

Links

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Wahlnachlese: langfristig denken und die Herzen erreichen

So, von mir etwas verspätet auch noch eine Nachlese zur Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen. Aus Piratensicht ist ja schon einiges dazu geschrieben worden. Das will ich nicht aufwärmen, sondern mich auf wenige Aspekte beschränken.

Stimmenverluste

Die Piratenpartei ist weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Nachdem sie bei der Bundestagswahl in NRW noch 1,67 Prozent der Zweitstimmen holen konnte, reichte es bei der Landtagswahl nur für 1,52 Prozent. Guckt man nicht auf die Prozente, sondern auf die absoluten Zahlen, sieht das Bild noch dramatischer aus: 119.581 Wähler wählten Piraten gegenüber 158.585 bei der Bundestagswahl. Ein Verlust von 39.004 Stimmen oder knapp einem Viertel der Wähler.

Gut, die geringe Wahlbeteiligung spielt eine Rolle. Ich hatte aber eigentlich angenommen, Piratenwähler seien wahlmotivierter als andere. Gut, viele haben taktisch SPD, Grüne oder gar die Linke gewählt, um Schwarz-Gelb zu verhindern. Das kann man daran erkennen, daß die Piratenpartei in vielen Wahlkreisen mehr Erst- als Zweitstimmen bekam. Meine Meinung: taktisch wählen ist wie taktisch heiraten. Es erfüllt seinen Zweck, aber es macht nicht glücklich.

Werbung wirkt langfristig

Die Piratenpartei ist immer noch weitgehend unbekannt, zumindest auf dem Land. Das habe ich beim Unterschriftensammeln für meine Direktkandidatur im Wahlkreis Herford II deutlich gemerkt. Nicht wenige hatten noch nie etwas von der Piratenpartei gehört. Werbung muß daher vor allem den Namen »Piraten« bzw. »Piratenpartei« ins Spiel bringen und in den Köpfen verankern.

Dafür haben wir uns eingesetzt mit Plakaten, Flyern, Infoständen und Aktionen. Dafür haben wir Zeit, Kraft und Geld in diesen Wahlkampf gesteckt. Und nun fragt sich mancher durch das Wahlergebnis gefrustete Pirat, ob sich dieser Aufwand überhaupt gelohnt hat. Ich meine: ja, er hat.

  1. Wo wären wir wohl, wenn wir keinen Wahlkampf gemacht hätten?
  2. Der Aufwand hat sich gelohnt – nur nicht unbedingt für diese Landtagswahl.

Werbung wirkt langfristig, jedenfalls sollte sie das. Wer im April einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen und erstmals von den Piraten gehört hat, wird im Mai nicht gleich sein Kreuz an der von uns gewünschte Stelle machen. Aber wenn die Piraten künftig wieder etwas von sich hören lassen, wir er einen Tick aufmerksamer sein. Wir legen heute die Grundlage für übermorgen. Damit das klappt, müssen wir uns regelmäßig Gehör verschaffen. Mit einer einmaligen Aktion zur Wahl ist es nicht getan.

Presse

Präsenz in der Presse ist wichtig, aber leider können aber weder die AG Presse NRW noch die lokalen Pressepiraten zaubern. Klar, wir geben Pressemitteilungen mit irgendwelchen Meinungen zu irgendwelchen Themen heraus. Die Erfahrung lehrt aber, daß die Meinungen einer 1,5-Prozent-Partei nicht wirklich zählen. Erheblich bessere Chancen auf Veröffentlichung haben Ankündigungen oder Berichte dessen, was wir tun oder welche Personen wir in irgendwelche Ämter wählen. Wer sich dafür näher interessiert, sollte den Wikipedia-Artikel zum Thema Nachrichtenwert lesen.

Einige Piraten wollen wohl auch nach der Wahl monatliche Infostände durchführen. Das ist eine gute Idee! Aber man braucht natürlich die entsprechende Man-, äh, Piratepower und vor allem Durchhaltevermögen. Sind alle motiviert, sich Monat für Monat auf die Straße zu stellen? Wie weit reicht die Motivation? Vielleicht ist es realistischer, erstmal einen vierteljährlichen Stand zu planen. Die Schlagzahl erhöhen kann man ja immer noch.

In unterpiratisierten Gegenden wie dem Kreis Herford wird auch das nicht gehen. Da war es nicht mal zur Landtagswahl möglich, einen nennenswerten Straßenwahlkampf zu führen. Dafür ist die Pressearbeit auf dem Land sehr viel leichter als in der Stadt. Dort sind die Lokalredaktionen dankbar für alles, was sie kriegen können. In der Großstadt in die Konkurrenz groß und jede Piratenmeldung buhlt mit tausend anderen um die Aufmerksamkeit der Redakteure. Jedenfalls bin ich mit der lokalen Berichterstattung in Herford II sehr zufrieden. Das hat gut geklappt, obwohl ich als Dortmunder kaum persönlich vor Ort sein konnte.

Plakate

Unsere Plakate fand ich suboptimal. Das erste ist mir in Köln begegnet, als ich mit meinem Faltrad daran vorbeifuhr. Die groß gedruckte Frage konnte ich gut lesen, die darunterstehende Antwort schon nicht mehr. Die war zu klein und ich dann schon vorbei. Überhaupt nicht zu sehen war das wichtigste: der Name der Partei – viel zu klein und zu unauffällig. Fußgänger, die vor einem Plakat stehenblieben und es gründlich lasen, fanden sich darin aber auch nicht zwangsläufig wieder. Den meisten Menschen brennen andere Fragen unter den Nägeln als »Dürfen Politiker Medien beeinflussen?«

Christian Gebel hat ein alternatives Plakat entwickelt, das viel besser funktioniert. Es ist zwar längst nicht so intelligent wie die vorgenannten, aber es ist genau so, wie ein Plakat sein sollte: plakativ.

Flyer

Für meinen Geschmack hatten zu viel verschiedene Flyer. Ich arbeite gern mit einem einzigen Flyer, der die wesentlichen Punkte enthält, den ich sehr gut kenne und den ich im Gespräch daher gut erklären kann. Den Flyer mit der Wahlprogrammkurzfassung finde ich prima. Noch schöner wäre gewesen, wenn er auch unsere Kernziele enthalten hätte. Aber die sind über der Euphorie über die neuen NRW-Themen wohl irgendwo außen vor geblieben.

Mit den Themenflyern kann ich nicht so viel anfangen. Ich trage nicht gern einen Bauchladen von Spezialflyern mit mir herum, nur damit ich möglicherweise den einen oder anderen weitergeben kann, falls jemand danach fragen sollte. Am Infostand war das auch nicht sehr viel anders.

Die Herzen erreichen

Piratenwahlkampf läuft über Intellekt und Logik, nicht über Herz und Bauch. Für die meisten Piraten ist das auch gut und richtig, denn es entspricht ihrer Wesensart – meiner auch. Nur werden wir allein damit nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Denn die meisten Menschen ticken anders. Menschen sind nicht logisch.

Wir müssen es schaffen, die Menschen auch emotional abzuholen. Mit einem rein intellektuellen Wahlkampf erreichen wir nur eine kleine Minderheit. Politische Spezialthemen (»eine Landesbank für den Ministerpräsidenten«) interessieren die Menschen nicht. Selbst allgemeine politische Themen sind für viele uninteressant. Die Mitmachpartei ist ein prima Konzept, aber es will halt nicht jeder mitmachen. Politik und Piratenpartei müssen nicht nur intelligent sein, sondern sich auch gut anfühlen und Spaß machen. Das begeistert! Ein Indiz dafür: Mein Aufruf zum Wahl-Flashmob hatte erheblich höhere Abrufzahlen als ernstgemeinte Artikel wie dieser.

Ich will Sachargumente, Spezialthemen und Mitmachpartei überhaupt nicht kleinreden oder abqualifizieren. Diese Dinge sind notwendig und wichtig. Aber sie reichen nicht aus. Laßt uns die Menschen auch auf der Gefühlsebene ansprechen, damit wir wirklich viele erreichen! Bleiben wir nicht in unserer intellektuellen Nische stecken, die uns höchstens marginalen und indirekten politischen Einfluß bringt!

Was können wir konkret tun? Einige Vorschläge:

  • Veranstaltungen zum Thema Computer und Internet (speziell für Einsteiger und Senioren) z.B. in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen
  • Praktische Hilfe im sozialen Bereich anbieten
  • In der Kommunalpolitik mitarbeiten. Das geht nicht nur über Ratssitze. Die guten Wahlergebnisse in Aachen und Bonn zeigen, was möglich ist.

Bestimmt haben die Kreativen unter euch noch viel mehr Ideen! Laßt sie mich wissen, dann erweitere ich die Liste.

Wenn wir im Leben der Menschen vorkommen, wenn die Menschen mit »Piratenpartei« konkrete Personen verbinden, die sie kennen und schätzen, ist viel erreicht. Damit können wir sogar Nichtwähler ansprechen, die sich noch nie für Politik interessiert oder sich irgendwann frustriert abgewandt haben. Ein gewaltiges Potential! Persönliche Beziehungen sind wichtig. Darüber kann Interese an Politik entstehen. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich, sondern ist eine langfristige Geschichte.

(Übrigens kenne ich das ganz ähnlich aus meiner Gemeinde. Da kommen Menschen in der Regel auch nicht »einfach so« zum Gottesdienst, weil sie ein spontanes Interesse am Glauben überfällt. Sondern jemand lernt ein Gemeindemitglied kennen, und fängt an, sich für das zu interessieren, was dem anderen wichtig ist. Das Interesse entsteht also nicht aus der Sache heraus, sondern wird vermittelt durch eine glaubwürdige Person. Dann läßt man sich gern auch mal zum Gottesdienst einladen – und sich womöglich von und für Jesus begeistern.)

Update zum Thema Nichtwähler (2010-05-13):

Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2010: Zweitstimmen und Nichtwähler Die nebenstehende Grafik zeigt, wie erschreckend hoch der Anteil der Nichtwähler ist (grau). Ebenfalls gut zu sehen ist, daß auch die sogenannten großen Parteien jeweils nur gut ein Fünftel der Wahlberechtigten hinter sich bringen konnten. Jedenfalls macht die Grafik klar, in welchem Bereich wir Piraten – aber auch andere Parteien – das größte Potential für weitere Wähler finden: Es sind diejenigen, die sich aus der Teilhabe am demokratischen Prozeß verabschiedet haben.

Wer warum nicht wählt und wie man das ändern kann, ist weitgehend unerforscht. Aber ein paar Fakten kennt man doch. So besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Armut einerseits und dem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben andererseits. Mehr dazu kann man in einem Beitrag des Deutschlandfunks nachlesen bzw. -hören: Die Partei der Nichtwähler – Unbekannte Macht oder schweigende Mehrheit. Lesenswert!