Heute war ein schöner Tag für so manchen Anti-Atom-Bewegten, gab es doch endlich einen Leukämiefall durch das Reaktorunglück von Fukushima zu feiern. »Tokio bestätigt Krebserkrankung durch Fukushima«, jubelt etwa die Deutsche Welle und meint, daß Japans Regierung damit erstmals einen direkten Zusammenhang »eingesteht«.
Verschiedene Medien wie etwa Asahi Shimbun berichten, ein heute 41jähriger habe von Oktober 2012 bis Dezember 2013 im Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi in der Nähe der havarierten Reaktorblöcke 3 und 4 gearbeitet. Dabei hatte der Mann eine Strahlendosis von 15,7 Millisievert (mSv) aufgenommen. Aus einer dreimonatigen Tätigkeit im Kernkraftwerk Genkai 2012 hatte er bereits 4,1 mSv auf seinem Strahlungskonto.
Anfang 2014 wurde bei dem Mann eine akute myeloische Leukämie diagnostiziert. Er wandte sich daraufhin an die Behörden, die ihm jetzt eine Entschädigung zuerkannten.
Sind also Reaktorunglück und Strahlung in Fukushima-Daiichi schuld an der Krebserkrankung des Arbeiters? Nein, das wäre ein zu kurzer Schluß. So einfach ist das nämlich nicht.
Denn die Ursachen für Leukämie sind nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft vielfältig und noch weitgehend unbekannt. Man kennt lediglich eine Reihe möglicher risikoerhöhender Faktoren. Das ist nicht nur Strahlung, sondern auch eine erbliche Veranlagung, Vorerkrankungen, Benzol, organische Lösungsmittel, Insektenbekämpfungsmittel, Pflanzenschutzmittel, manche Krebsmedikamente oder Viren. Auch das Alter spielt je nach Art der Leukämie eine Rolle. Und nicht vergessen: Etwa 10 Prozent der Leukämieerkrankungen sind durch das Zigarettenrauchen bedingt, sagen Fachleute. Für einen sehr großen Anteil der Leukämien könne jedoch kein auslösender Faktor nachgewiesen werden, so die Krebsgesellschaft.
Man kann die Leukämierkrankung des Fukushima-Arbeits daher nicht einfach auf den Reaktorunfall zurückführen. Bei der Dosis, die der Mann erhalten hat, ist das auch eher unwahrscheinlich. 19,8 mSv über zwei Jahre verteilt – das liegt unter dem Grenzwert von 20 mSv pro Jahr für beruflich strahlenexponierte Personen. Und selbstverständlich sind solche Grenzwerte so gewählt, daß es beim Überschreiten nicht gleich gefährlich wird. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Strahlung und Krebs sehen Strahlenbiologen erst ab einer akuten effektiven Dosis von 100 mSv, also wesentlich höher. Erfolgt die Strahlenexposition nicht akut, sondern über einen längeren Zeitraum gestreckt, kann der Mensch noch weit höhere Dosen schadlos überstehen oder sogar davon profitieren.
Letztlich wird man die Ursache der vorliegenden Leukämiefalls wohl nie zweifelsfrei ermitteln können. Strahlung als Ursache ist zwar sehr unwahrscheinlich, doch mit letzter Sicherheit ausschließen kann man sie auch nicht. Zum Glück war der Erkrankte aber nicht auf eine zweifelsfreie Ursachenklärung angewiesen. Denn er konnte sich einfach auf eine Regelung aus dem Jahr 1976 berufen. Danach reicht es für die Anerkennung von Leukämie als Berufskrankheit aus, wenn man erstens eine Dosis von 5 mSv oder mehr im Jahr abbekam und zweitens sich die Leukämie frühestens ein Jahr nach der ersten Strahlenexposition zeigte. Die 5 mSv hatte der Mann während seines Einsatzes in Fukushima-Daiichi klar überschritten, und die zweite Bedingung ist ebenfalls erfüllt.
Auf die Strahlung in Fukushima-Daiichi läßt sich zwar nicht die Leukämie zurückführen, wohl aber die Entschädigung für den Erkrankten.
Den meisten Medien und erst recht den Kernkraftgegnern dürften solche »Feinheiten« allerdings egal sein. Wenn die Medien aber um den »ersten Fukushima-Krebsfall« ein derartiges Getöse machen, dann werden davon hoffentlich wenigstens einige wach, die bislang angenommen hatten, die Kernschmelzen hätten viele Strahlentote gefordert. Nein, diese Zahl liegt nach wie vor bei Null.
Aktualisierung (2015-10-21): Mit „Japan to Pay Cancer Bills for Fukushima Worker“ von Jonathan Soble erschien ein guter, ausgewogener Artikel in der New York Times.
Aktualisierung (2015-10-28): Der Asahi Shimbun sprach mit dem erkrankten Arbeiter und brachte diesen Artikel: „Leukemia-stricken Fukushima welder hopes he is first of many granted workers‘ comp“.
Zur Information:
http://freiraum-magazin.com/2015/07/21/die-maeuse-von-tschernobyl/
Langsam wird mir das unheimlich. Egal wo ich im Internet lese, ständig laufe ich einem „Rainer Klute“ über den Weg. Und ich habe den starken Verdacht, es ist immer der Gleiche. 😉
http://freiraum-magazin.com/2015/07/17/bn-800-laeuft-endlager-werden-ueberfluessig/#comment-2634
Warum hast du dort den Dual-Fluid-Reaktor nicht erwähnt, ich dachte, der sei auch schon mehr oder weniger marktreif?
Ja, könnte sein, daß das derselbe ist. 😉
Der Dual-Fluid-Reaktor ist allerdings nicht mehr oder weniger marktreif, sondern braucht noch einige Jahre Entwicklungszeit.
Ha, ich glaube, ich habe den Unterschied „der Gleiche/Selbe“ jetzt endlich verstanden. 🙂
Danke.
Diese Erkenntnisse kann ich nur bestätigen.
Keiner bekommt gleich Leukämie, weil der Arbeitsplatz ein AKW ist, oder man in der Umgebung wohnt, wie gerne für das AKW Krümmel seit Jahrzehnten behauptet wird.
Ich hatte einen ehemaligen Liquidator der ersten Stunden von Tschernobyl in der ärztlichen Betreuung, der sicher eine potentiell lebensgefährliche, gar tödliche Strahlung abbekommen hat, und der zurzeit im Einzugsbereich von Krümmel lebt. Er hatte und er hat nichts, aber seine Kameraden sind alle nicht mehr am Leben. Sicher ein Grund für breite Untersuchungen und nicht für platte Stellungnahmen. Allerdings befinden sich seine Unterlagen höchstwahrscheinlich im Moskauer Militärarchiv, und sind daher für Forschungszwecke außerhalb Russlands nicht zugänglich.
Ich selbst war mal kurz in einem Zwischenlager, also hochgradig gefährdet nach Meinungen von Anti-Atom-Hysterikern.
Ich sollte mir ernsthaft Gedanken machen.
Sicher, Kernkraft ist nicht ungefährlich, aber man sollte bei der Bewertung sachlich bleiben.
Ich fasse zusammen: Radioaktive Strahlung kann zu gesundheitlichen Schäden führen. Ist doch unglaublich, NICHT! Halten die uns alle für vollkommen dämlich! ?
Nein, kann man so nicht sagen. Es kommt auf Dosis und Dosisleistung an. Hohe Strahlung ist schädlich, niedrige nützlich. Hier schematisch der Zusammenhang:
