POET Technologies ist ein kleines kanadisches Unternehmen, das ein Herstellungsverfahren für schnelle, stromsparende, optoelektronische und preiswerte Halbleiterchips auf Basis von Galliumarsenid entwickelt hat. POET will damit die Grenzen sprengen, vor der die Siliziumhalbleiterindustrie heute steht.
Ist euch schon mal aufgefallen, daß Computer seit zehn Jahren nicht mehr schneller werden?
Mooresches Gesetz
Als ich 1985 meinen ersten eigenen Rechner kaufte – einen Atari ST – hatte die CPU eine Taktfrequenz von 8 Megahertz (MHz). In den folgenden Jahren stieg die Geschwindigkeit neuer Prozessoren rasant an und liegt heute bei 3 bis 4 Gigahertz (GHz), also dem 500fachen meines alten Ataris.
Das mooresche Gesetz beschreibt dieses rasante Wachstum. Gordon Moore postulierte 1965, die Anzahl der Transistoren pro Fläche in integrierten Schaltkreisen werde sich alle eineinhalb bis zwei Jahre verdoppeln. Fast fünfzig Jahre lang stimmte das auch, wie die grüne Linie in Abb. 1 zeigt. Heute stößt das mooresche Gesetz allerdings an seine Grenzen, denn man kann die Strukturen der Chips natürlich nicht beliebig verkleinern.
Kleiner ist nicht mehr billiger
Die kleinste physikalisch mögliche Strukturgröße ist zwar noch nicht erreicht, doch es gibt auch eine wirtschaftliche Grenze. Kleinere Strukturen verlangen einen erheblichen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, aufwendigere Herstellungsverfahren und insgesamt erheblich höhere Kosten. Eine moderne Chipfabrik kann mehrere Milliarden Dollar kosten. Irgendwann ist eine Verkleinerung zwar noch möglich, aber sie rechnet sich nicht mehr. Dieser Punkt ist heute erreicht, wie Abb. 2 zeigt.
Während man im Jahr 2002 für einen Dollar 2,6 Millionen Transistoren mit einer Größe von 180 Namometern (nm) bekam, waren es 2012 20 Millionen Transistoren mit 28 nm. 2014 sollen die Transistoren auf 20 nm schrumpfen. Allerdings werden sie nun nicht mehr billiger. 2015 kehrt sich der Trend dann gänzlich um: Bedingt durch die hohen Entwicklungs- und Herstellungskosten weiter verkleinerter Strukturen wird man dann weniger Transistoren für’s gleiche Geld bekommen.
Kernschmelze
Während die Strukturgröße zum Beispiel bei Smartphones wegen des Platzbedarfs eine Rolle spielt, ist sie bei Computerprozessoren längst egal geworden. Denn die CPU-Taktgeschwindigkeit stagniert bereits seit 2003 bei etwa 3 bis 4 GHz (Abb. 1, dunkelblaue Linie). Höhere Taktraten hätten eine höhere Leistungsaufnahme und eine höhere Wärmeentwicklung zur Folge. Diese Wärme kann man aber nicht mehr schnell genug abführen. Die Strukturen der Prozessoren würden schmelzen; und je feiner die Strukturen, desto eher schmelzen sie. Also hebt man die Taktraten nicht weiter an, sondern läßt sie dort, wo sie sind. Für Leistungssteigerungen verwendet man stattdessen Prozessoren mit mehreren oder vielen CPU-Kernen.
Die Wärmeentwicklung ist natürlich auch bei Smartphones ein Problem. Unangenehm ist nicht nur, wenn das Gerät bei manchen Vorgängen warm wird. Noch unangenehmer ist es, daß dann auch der Akku schnell leer ist.
Morsches mooresches Gesetz
Das physikalische und wirtschaftliche Ende des mooreschen Gesetzes ist ein riesiges Problem für die Halbleiterindustrie. Wie soll man Chips verkaufen, die weder schneller, noch billiger, noch verbrauchsärmer sind? Chips, die in naher Zukunft noch nicht einmal kleiner sind? Man versucht allerlei, zum Beispiel Chipdesigns mit dreidimensionalen Strukturen oder eine Kühlung mit flüssigem Metall, das in speziellen Kanälen durch den Chip zirkuliert. Ein entscheidender Durchbruch ist aber nicht in Sicht.
Hohe Geschwindigkeit, geringer Stromverbrauch
Dieses Problem verspricht nun ein kleines Unternehmen aus Kanada zu lösen. Statt das herkömmliche Silizium (Si) als Grundmaterial der Chipherstellung zu verwenden, setzt POET Technologies auf Galliumarsenid (GaAs). Dr. Geoffrey W. Taylor, Chefwissenschaftler von POET Technologies, hat es in rund 20 Jahren Forschungsarbeit geschafft, die Probleme dieses Materials zu lösen, an denen in den 1990er Jahren eine ganze Reihe von Firmen gescheitert sind. POET ist Taylors Lebenswerk.
Mit Hilfe der POET-Plattform (POET steht für Planar Opto Electronic Technology) lassen sich Chips mit den folgenden Eigenschaften herstellen:
- Erheblich höhere Geschwindigkeit
- Erheblich niedrigerer Stromverbrauch
- Integration von Elektronik und Optik in einem Chip (Optoelektronik)
- Integration mit herkömmlicher Siliziumtechnik möglich
- Herstellung von POET-Chips auf bestehenden Anlagen möglich
Im Moment ist POET dabei, die Strukturgröße auf 100 nm zu reduzieren. Gar nicht so einfach auf der eigenen alten Anlage! Bis auf 200 nm hat man es mittlerweile geschafft. Wie POET bekanntgab, rechnet man bei 100 nm mit mindestens 50facher Geschwindigkeit gegenüber heutigen Siliziumchips. Je nach Anwendung soll der Stromverbrauch bei 10 bis 25 Prozent liegen. Und das ist erst der Anfang, denn auf modernen Anlagen lassen sich ja noch viel kleinere Strukturen fertigen.
Keine neuen Produktionsanlagen
Damit sind wir bei einem weiteren nicht zu unterschätzenden Vorteil des POET-Verfahrens: Chiphersteller brauchen keine neuen Anlagen, sie brauchen keine Milliarden von Dollar zu investieren. POET-Chips lassen sich auf den herkömmlichen Anlagen fertigen. Geringe Investitionen für Umrüstungen reichen.
Optik und Elektronik vereint
POET ermöglicht die Integration elektronischer und optischer Funktionen im selben Chip. Damit läßt sich das, wozu heutige Geräte mehrere miteinander verbundene Chips benötigen, in einem einzigen realisieren. Das reduziert die Herstellungskosten deutlich. Geräte „powered by POET“ sind also nicht nur schneller und sparsamer, sondern auch billiger. Künftige Anwendungsmöglichkeiten der Optoelektronik lassen sich allenfalls erahnen.
Spannend ist die hohe Strahlungsfestigkeit von GaAs. Das findet auch die NASA, die die POET-Technik in einer Weltraumsonde einsetzen will. Im All ist Strahlungsfestigkeit ja besonders wichtig.
Mehr als Schall und Rauch
Zu schön, um wahr zu sein? Konkrete Projekte, die POET Technologies für und mit BAE Systems durchgeführt hat, zeigen: Diese Technik existiert und funktioniert. Gegenwärtig validiert BAE das Herstellungsverfahren für bestimmte optische Komponenten. Oder besser: Vermutlich ist die Validierung bereits abgeschlossen; mit der Bekanntgabe des Erreichens von »Meilenstein 7« wird täglich gerechnet. Dazu ist POET aber auf BAE angewiesen.
Vermarktung
Gegenwärtig ist POET Technologies dabei, die Technik zu Geld zu machen. Dazu redet man seit 2013 hinter sehr fest verschlossenen Türen mit potentiellen Lizenznehmern oder potentiellen Partnern für andere Arten von Partnerschaften. Was mit wem besprochen wird, ist unbekannt und läuft unter strikter Geheimhaltung. Offenbar ist aber die angestrebte Strukturverkleinerung auf 100 nm die Anforderung mindestens eines möglichen Partners. Denn dieses Ziel stand ursprünglich gar nicht auf dem Meilensteinplan, kam jedoch im August 2013 überraschend hinzu.
Möglicherweise ebenfalls auf Anregung eines potentiellen Partners hin unterscheidet man jetzt zwischen POET- und PET-Chips. Letztere wären ohne die Optik, eher mit herkömmlichen Si-Chips vergleichbar und daher wohl schneller am Markt.
Während 2012 noch von einem Verkauf des Unternehmens die Rede war, scheint diese Variante nun vom Tisch zu sein. Das gefällt mir, denn das POET-Verfahren ist zu revolutionär, um es einem einzigen Hersteller zu überlassen und ihm dadurch einen monopolartigen Marktvorteil zu verschaffen. Besser wäre es, die Technik an verschiedene Hersteller zu lizensieren. Und POET ist ja nicht nur für Computer- und Smartphone-Prozessoren interessant, sondern auch für zahlreiche weitere vertikale Märkte. Daher hoffe ich auf Lizensierungsabkommen mit möglichst vielen Herstellern aus möglichst vielen Bereichen. Damit ließe sich ein stetig fließender, stetig wachsender Strom von Lizenzzahlungen generieren.
Die POET-Aktie
Wer das alles interessant findet, kann POET-Technologies-Aktien kaufen und so an Erfolg oder Mißerfolg teilhaben.
Ich persönlich sehe in dieser Technik ein gewaltiges Potential und habe daher einiges Geld in POET-Aktien investiert. Das mag meinen Blick trüben. Dennoch will ich meine Überlegungen kurz schildern.
Aktuell beträgt die Marktkapitalisierung von POET Technologies bei einem Aktienkurs von 0,75 CAD (Schlußkurs 2014-01-31 an der TSX Venture Exchange) und knapp 135 Millionen Aktien gerade mal gut 100 Mio. CAD (67 Mio. Euro).
Was aber ist POET Technologies wirklich wert? Wenn es nach den üblichen Maßstäben geht, gar nichts, denn:
- Die Finanzstruktur ist strukturell äußerst übel. POET Technologies hat als reines F&E-Unternehmen so gut wie keine Einnahmen, verbrennt aber Monat für Monat das vorhandene Kapitel.
- Die POET-Aktie ist ein Penny-Stock. Das heißt, sie notiert unter einem Dollar und kommt damit für praktisch alle institutionellen Investoren aus Prinzip nicht in Betracht.
- Professionelle Analysten haben sich POET Technologies bislang noch nicht angeschaut. Es gibt also keine Einschätzungen, an denen sich Anleger orientieren könnten.
- Der Kurs ist sehr volatil, also starken Schwankungen unterworfen und nichts für schwache Nerven.
Damit wird man POET Technologies natürlich nicht gerecht. Der wahre Wert von POET steckt ja nicht in den aktuellen, sondern in den erwarteten künftigen Finanzdaten. Und da denke ich – gerade auch im Vergleich zu dem, was sonst so für Unternehmen im IT-Bereich gezahlt wird –, daß für POET Technologies grob über den Daumen gepeilt mindestens 10 Milliarden Dollar drin sein dürften. Zu hoch gegriffen ist dieser Wert wohl nicht, sondern wird eher am unteren Ende der Fahnenstange liegen. Aber ich rechne lieber konservativ!
Welcher Aktienwert ergibt sich daraus? Leider kann man die 10 Milliarden Dollar nicht durch die heutigen 135 Millionen Aktien dividieren. Denn diese Anzahl wird sich durch ausstehende Bezugsrechte und Optionsscheine auf rund 212 Millionen Aktien erhöhen. Es wird also zu einer gehörigen Verwässerung kommen. Wir teilen daher 10 Millarden Dollar durch 212 Millionen Aktien und kommen so auf rund 47 Dollar pro Stück – eine Versechzigfachung gegenüber dem heutigen Wert.
POET-Aktien sind an der TSX Venture Exchange in Toronto (Kanada) notiert. An deutschen Börsen werden sie unter der ISIN CA73044W1041 gehandelt. Am liquidesten sind Tradegate und Frankfurt; via Tradegate kann man zudem von 8 bis 22 Uhr handeln. Das paßt gut mit dem Handel in Toronto überein, da dieser von 15:30 Uhr bis 22:00 Uhr unserer Zeit stattfindet.
Disclaimer
Nicht, daß das jemand mißversteht: Ich rate hier niemandem dazu, POET-Aktien zu kaufen. Die von mir angenommen 10 Milliarden Dollar sind meine eigene, höchstpersönliche Mutmaßung. Auch für die vom POET-Management geführten Verhandlungen gibt es keinerlei Erfolgsgarantie. Falls also jemand von euch mit POET-Aktien Schiffbruch erleidet, beschwert euch bitte nicht bei mir! Informiert euch lieber selbst, prüft gründlich, und dann entscheidet.
Links
Jede Menge Links zu weiteren Informationen zu POET Technologies, dem mooreschen Gesetz und mehr findet ihr auf einer Extraseite.
Bitte beachten Sie die Hinweise zu Risiken und zum Haftungsausschluß!
Wirklich excellente, methodische Zusammenfassung und auf den Punkt gebrachter Überblick. Und dann sogar noch sprachlich einwandfrei. Ganz großes Kompliment!
Danke für das Lob!
Ich habe es eben bereits an anderer Stelle gewürdigt, ich freue mich, das jemand Zeit und Muße gefunden hat, POET in einem würdigen Rahmen zu präsentieren.
Eine gut strukturierte Einführung, eine verständliche, klare und wohl überlegte Wortwahl, eine gute Wahl der graphischen Darstellungen und eine umfassende Sammlung von Quellen und weiterführender Literatur.
Vielen Dank Rainer
Danke sehr!